Der Ehrengast
die Füllung nicht wollte und weil es ihr egal war, ob sie ihn damit für den nächsten verdarb. Sie saß da und knabberte an den kleinen Stücken, die sie abgebrochen hatte und nun in ihren langen, schmalen, bleichen Händen hielt. Ihre hochgezogenen Schultern wiesen zu beiden Seiten der Schlüsselbeine tiefe Einbuchtungen auf, über denen ihre grünliche, ölig glänzende Haut in der Hitze schimmerte. In einem gewissen Sinne erinnerte sie Bray an eine jener Photographien von Hungernden der dritten Welt – nichts als Augen und Knochen; aber ihre Beine unter dem kurzen, losen Hängekleid waren schön, die Oberschenkel sehr schlank, aber feminin, die Kniescheiben rund.
Stephen stellte die Bücher, die sein Vater durcheinandergebracht hatte, wieder gerade hin. »Oh, Ma, ich weiß jetzt den Namen für das Zeug, mit dem man diese Dinger umbringt.«
»Welche Dinger?« sagte seine Mutter, ohne sich umzudrehen.
»Die Dinger, die die Einbände auffressen.«
»Silberfischchen«, sagte sie.
»Du kannst es beim Apotheker kriegen. Es heißt Eradem, und du brauchst es bloß auf die Regale zu sprühen.«
Sie sagte: »Er weiß zwar, wie man verhindert, daß sie aufgefressen werden, aber er würde niemals eins auch nur aufschlagen.«
Wentz unterhielt sich gerade mit den beiden Gästen, aber seinEinwand klang, als spräche er über ein Medium. »Wieviel Zeit hat er denn schon. Du weißt doch, daß er kaum seine Schulaufgaben schafft.«
»Das stimmt.«
Einen Augenblick lang hing der prüfende Blick, mit dem er sie musterte, gleichsam in der Luft; dann wandte er sich wieder der Diskussion über die neue Universität zu und widersprach Bray, der die Ansicht vertrat, das Hauptgewicht solle auf den Naturwissenschaften, insbesondere auf der Ingenieurausbildung liegen.
»Nun, ich sehe einfach keine Möglichkeit, wie auch nur eine einzige von diesen neuen afrikanischen Universitäten genügend Studenten mit dem entsprechenden Ausbildungsniveau finden soll, um mit ihnen die Studienplätze an einem halben Dutzend verschiedener Fakultäten zu besetzen«, sagte Bray gerade. »Die vernünftigste Lösung für die betreffenden Länder, die in geographischer, wirtschaftlicher und sonstiger Beziehung eng miteinander verbunden sind, wäre die Gründung einer Art Föderation auf dem Sektor Hochschulbildung, wobei sich jede Hochschule auf ein oder zwei Fakultäten beschränken sollte, um Studenten aus allen diesen Ländern zu kriegen. Ich bin der Meinung, daß die hiesige Universität, sobald sie einmal angelaufen ist, nur Kurse mit Hochschulabschluß im technischen und medizinischen Bereich anbieten sollte. Diejenigen, die sich für die Geisteswissenschaften interessieren, können nach Makerere und Lusaka gehen. Auf diese Weise könnte man einen erstklassigen Lehrkörper heranbilden und erstklassige Lehrmittel beschaffen, anstatt die Marmelade so dünn zu verstreichen und das Niveau zu senken.«
»Aber dann würde man immer noch irgendeine Art Interimsprogramm brauchen – ich weiß nicht … irgendwas zwischen Schule und Universität. Zur Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus Ihrer Studenten – auch derer, die an eine Universität in einen Nachbarstaat gehen, oder?«
»
Das
bezweifelt keiner«, sagte Dando. »Das ist ein allgemeinanerkanntes Prinzip – eine Schule für höhere Studien oder was Ähnliches.«
»Aber was spricht dann dagegen, daß man das mit der Universität verbindet? In Wahrheit ist es doch genau das, was passiert, wenn man die Aufnahmebedingungen erleichtert. Der einzelne braucht dann einfach ein bißchen länger bis zum Abschlußexamen, das ist alles. Aber wenn die Universität ihr Bildungsangebot einschränkt, Colonel, dann würde man erst diese Extraschule oder was auch immer brauchen, noch eine Stiftung, noch ein Verwaltungsapparat mehr – und alles bloß für die jungen Leute, die irgendwo im Ausland Jura oder Sprachen studieren wollen.«
»Gebraucht werden Technologen, Bergbauingenieure, Elektrotechniker, mein guter Hjalmar, und nicht ein Haufen verrückter Patrioten, die Dissertationen oder Seminararbeiten über afrikanische Literatur verfassen«, explodierte Dando.
»Wenn ich Jura studieren will, dann weiß ich nicht, wohin ich gehen soll«, bemerkte Stephen zufrieden.
»Jura kommt nicht in Frage, nicht für dich«, sagte Hjalmar. »Wenn du einmal weg mußt, kannst du Jura woanders nicht praktizieren. Dann sitzt du in der Falle.«
»Also, Hjalmar, Sie Drop-out, Sie könnten selbst Kurse abhalten und
Weitere Kostenlose Bücher