Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
ungeheuerlich. Eine Verschwörung, die Tausende von Menschen über die Alpen trieb, und jetzt auf ein Sklavenschiff. Bis zu diesem Tag hatte sie gedacht, es könnte nicht schlimmer kommen als das, was sie bislang erlebt hatten. Aber für die Nachfolger von Stephan hatte der Albtraum gerade erst begonnen.
»Ein Franz von Assisi kann einfach naiv sein.« Armand kaute auf seiner Unterlippe, was er gern tat, wenn er angestrengt nachdachte. »Ein Träumer, der den Vögeln und Eichhörnchen predigt, wenn ihm sonst keiner zuhört. Aber Innozenz III. ist nicht naiv! Wenn er das unterstützt hat, dann hat er seine Gründe. Ich wüsste zu gern, ob es ihm recht ist, dass die Franzosen jetzt übers Meer fahren.«
»Oder ob auch in Genua Schiffe warten«, fügte Gisela scharfsinnig hinzu. »Wenn doch die Händler dahinterstecken, versuchen sie das Gleiche sicher noch mal!«
»Wir brauchen keine Schiffe, das Meer wird sich teilen!« Rupert lenkte sein Maultier eben wieder neben Gisela, die für seinen Geschmack schon viel zu lange mit Armand und obendrein diesem Ungläubigen schwatzte. »Und wenn die Heiden der Wunder gewahr werden, die Jesus zu wirken vermag …« Er streifte Malik mit einem unfreundlichen Blick.
»Wer hat dich gefragt, Knecht?«
Der Prinz blitzte den Jungen wütend an. Malik war es gleichgültig, wer den Kinderkreuzzug organisiert hatte, aber gegen Rupert hegte er tiefes Misstrauen. Armand, so fand er, war da viel zu duldsam. Der Prinz hatte inzwischen von demUnglück in den Bergen gehört, was ihn noch mehr alarmierte als der Austausch der Pferde. Der Sarazene plädierte dafür, den Knecht auszupeitschen, ein Geständnis zu erzwingen und ihm daraufhin entweder gleich den Kopf abzuschlagen oder ihn der Gerichtsbarkeit zu übergeben. Armand tat allerdings nichts dergleichen. Auch Gisela stellte sich vor den Jungen, dem sie ihre Freiheit verdankte. Seine Taten, so argumentierte sie, seien natürlich verwerflich, entsprängen aber nur Dummheit, Eifersucht und natürlich den falschen Vorstellungen, die Nikolaus’ Botschaft schürte.
»Er wollte dich bestimmt nicht wirklich töten. Nur … nur irgendwie … er hat sich geärgert, und er ist nur ein dummer Bauer. Dimma hatte recht, ich habe ihn gereizt. Bitte lass ihn in Ruhe, Armand. Bis Genua zumindest. Da wird er einsehen, dass sein Lehen in Jerusalem nur ein Traum war. Wir können ihn dann wegschicken.«
Die weitere Überlegung blieb vage. Schließlich wusste Gisela selbst nicht, wohin es sie und Armand von Genua aus treiben würde. Zurzeit dachte niemand im Heer sehr viel weiter als bis zu der Hafenstadt im Nordwesten Italiens. Selbst die Kinder, die rückhaltlos an Nikolaus glaubten, mochten sich den weiteren Weg kaum vorstellen. Sie waren jetzt schon erschöpft – und eine Überfahrt ins Heilige Land sollte selbst per Schiff Wochen dauern. Zu Fuß würden sie weitere Monate unterwegs sein. Wenn sie überhaupt etwas aufrecht hielt, so nur der Gedanke an das Wunder, das zumindest den Beweis liefern würde. In Genua würden sie erfahren, ob Gott wirklich auf ihrer Seite war!
Magdalena zweifelte nicht daran. Sie hatte sich wieder der Gruppe um Wolfram zugesellt und teilte bereitwillig den Inhalt ihres wohlgefüllten Ranzens. Allerdings zeigte sie vorerst niemandem ihre Silberbrosche. Die sollte nur ihr allein gehören! Sie würde sie tragen, wenn sie einst mit Wolfram im Kreis der Ritter Eide schwor. Magdalena hatte die Mädchenauf der Burg Rivalta davon reden hören, wie der Adel Hochzeit feierte. Seitdem träumte sie von einem Kuss im Kreise von Wolframs Rittern, Lehnsmannen und Lehnsherren – egal ob auf einem neuen Lehen im Goldenen Jerusalem oder in Guntheim am Rhein.
Glücklich saß sie am Abend zu Füßen ihres Geliebten und lauschte Nikolaus’ letzten Predigten, bevor das Wunder geschehen sollte. Nur noch zwei oder drei Tage, dann würde es so weit sein … und vielleicht ließ Wolfram sie dann ja auch endlich mit auf seinem Pferd reiten, und sie musste nicht mehr laufen.
Kurz vor dem Ziel wurde der Weg allerdings noch einmal schwierig. Die lombardische Tiefebene wich den Ausläufern des Apennin, einem gewaltigen Gebirge, und das Heer zog durch weitgehend verdorrte Weizenfelder und Weingärten. Die Winzer wirkten zufriedener als die Bauern. Das Jahr des Herrn 1212 versprach vielleicht keine große Ernte, aber einen wunderbaren Jahrgang starken, süßen Weines.
Nikolaus führte seine von Tag zu Tag aufgeregter werdende Schar über die
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