Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
wenn man Pergament statt Holzplatten vor die Fensteröffnungen nagelte, um Wind und Kälte draußen zu halten. Die reichen Bürger der Stadtrepubliken gönnten sich da mehr Komfort.
»Rupert!«, vermutete Gisela, die sich an jene Nacht im Rheinland erinnerte, in der der Knecht sie zur Teilnahme am Kreuzzug überredete. »Vielleicht hat er sie gefunden.«
Tatsächlich war es allerdings Armand, der vor dem Palast auf der Straße stand und zu Gisela hinauflächelte. Er wirkte stattlich in seinem dunklen Gewand und dem hellen Mantel – kein Wappenrock mehr, der junge Ritter begann sich zu kleiden wie ein Kaufmann. Armand zwinkerte seiner Freundin verschwörerisch zu wie ein Gassenjunge.
Gisela winkte vergnügt zu ihm herab, aber Konstanze befürchtete schlechte Nachrichten. Sie sorgte sich inzwischen ernstlich um Magdalena – die Nachricht, sie sei mit Wolfram gesehen worden, beunruhigte sie noch mehr. Das Mädchen mochte von Nikolaus nicht mehr viel halten, aber in den Möchtegernritter aus dem Rheinland war es zweifellos verliebt. Was, wenn er Magdalena jetzt auch noch enttäuschte?
Armand wirkte jedoch nicht bedrückt, sondern im Gegenteil ausgelassen fröhlich. Sicher hatte er auch mehr als einen Becher Wein geleert, er kam eben von einem Bankett beim Dogen.
»Komm runter, Gisela, ich will dir was zeigen!«
»Jetzt?«, fragte sie verblüfft. »Mitten in der Nacht?«
Armand lachte. »Ja, jetzt! Komm, Gisela, ich will dich heute noch sehen und im Arm halten! Weil ich dich liebe. Wenn du magst, wirf mir die Laute herunter, dann spiele ich dir auf. Das wäre vielleicht ritterlicher … aber ich muss dich sehen!«
Er strahlte zu ihr hinauf, und Gisela lachte jetzt auch. »Ich glaube, ich möchte nicht mehr von dir umarmt werden, wenn die Nachbarn erst mal ihre Nachttöpfe über dir ausgeleert haben«, neckte sie ihn, »was unweigerlich die Folge deines Lautespielswäre … Also gut, sei jetzt ruhig und versteck dich irgendwo. Sonst geh ich meines guten Rufes verlustig, und wer weiß, ob du mich dann noch heiraten willst.«
Aufgeregt über ihre heimliche Verabredung warf Gisela rasch eine Surkotte über ihr Unterkleid und hüllte sich in einen Umhang. Die Kapuze verbarg ihr Gesicht, sie fühlte sich herrlich verrucht und trotzdem minniglich – wie die Mädchen, die sich in den Ritterromanen heimlich mit ihren Minneherren trafen. Dazu brauchte es eigentlich noch einen Rosengarten, den es an diesem Ort bedauerlicherweise nicht gab.
Armand zog Gisela rasch durch die Gassen der Stadt auf den Platz vor dem neu erbauten Dom. Im Gegensatz zu anderen großen Plätzen vor den Kathedralen im Rheinland und in Italien war er nicht mit Marmorplatten ausgestattet. Die Gebäude rund um die Piazza dei Miracoli standen auf einer weitläufigen Wiese. Sie leuchteten hell im Mondlicht, die Fassaden zierte carrarischer Marmor.
Armand brachte Gisela in die Mitte des um diese Zeit völlig verwaisten Platzes – auch dies war eine Besonderheit, denn gewöhnlich bildete die Piazza del Duomo den Mittelpunkt einer Stadt und war von etlichen Schänken gesäumt. Hier gab es nur Sakralbauten: den Dom, den dazugehörigen Glockenturm – den Campanile – und ein wunderschönes Baptisterium. Alle Gebäude befanden sich noch im Bau, und die Handwerker waren natürlich bei Anbruch der Dunkelheit nach Hause gegangen.
»Das wolltest du mir zeigen?«, fragte Gisela verwirrt. »Aber hier war ich schon mal.«
Armand nahm sie in die Arme. »Das wollte ich dir schenken! Gisela, wir werden erleben, wie man all diese Bauten vollendet. Wir werden hier zur Kirche gehen, unsere Kinder werden hier getauft werden. Ich lege dir Pisa zu Füßen, Gisela, wenn du es willst!« Er wirbelte sie herum.
»Dann pass aber auf, dass der Turm dabei nicht endgültigumfällt«, bemerkte Gisela skeptisch. »So schief, wie er jetzt schon steht … Und nun hör endlich auf mit dem Geschwätz! Was willst du mir zeigen, was willst du mir schenken, oder was willst du mir sagen?«
Armand küsste sie. »Ich will dir sagen, dass wir hierbleiben können. Pisa würde sich freuen, uns als Bürger begrüßen zu können, sowohl der Doge als auch die Familien Scacchi und Obertenghi bieten mir Stellungen in ihren Handelshäusern an. Ich habe den Komtur zu diesem Bankett begleitet und erregte ihre Neugier dadurch, dass ich dem Tempel zwar nahestehe, dem Orden aber nicht angehöre … Ich wusste nicht, was ich erzählen sollte, und das hat die Herren beeindruckt, dass ich schweigen
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