Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Umfeld geduldet, wurden aber zumindest vorgeblich nicht in ihre Geheimnisse eingeweiht und niemals Außenstehenden gegenüber erwähnt. In Ubaldinas harscher Kritik an Hildegard von Bingen mochte insofern auch Eifersucht mitschwingen – aber für allen Ruhm der Welt hätte sich die grobknochige, scharfzüngige Nonne nicht in ein rheinisches Kloster sperren lassen, um adlige Mädchen in der Sangeskunst zu unterrichten.
»Lies lieber Ibn Sina oder Ar-Razi«, wies sie ihren Schüler jetzt an. »Selbst Hippokrates hatte mehr zu sagen, auch wenn das meiste inzwischen überholt ist. Oder scheust du die arabischen Schriften? Daran solltest du arbeiten, Armand! Wenn du wirklich Wissen erwerben willst, darf es keine sprachlichen Grenzen geben. Aber nun komm herein, es wird kühl. Und ich habe mit dir zu reden. Im Auftrag des Großmeisters.«
Armand schlug sein Buch zu und folgte Ubaldina von den Zinnen des Tempels in ihr karges Studierzimmer neben der Bibliothek. Ein Gespräch im Namen des Großkomturs – das klang nicht gut. Genau genommen klang es nach Entscheidung, und im Grunde war Armand längst darauf gefasst. Es ging nicht an, dass er hier Jahre unter den Fittichen Mutter Ubaldinas verbrachte und die Geheimnisse der Templer studierte, ohne dem Orden endlich beizutreten. Und im Grunde sprach ja auch gar nichts dagegen: Armand stammte aus derbesten Familie – sein Vater war von hohem französischem Adel, seine Mutter war eine bayerische Prinzessin –, aber er war der jüngere Sohn. Ein Erbe wartete folglich nicht auf ihn, weder in Outremer noch im Süden Frankreichs.
Armand fühlte sich der Wissenschaft zugetan, war aber kein Stubenhocker. Tatsächlich hatte er seine Schwertleite längst gefeiert. Jean de Brienne persönlich, der König von Jerusalem, hatte ihn zum Ritter geschlagen, und Armand konnte sich gleich im darauf folgenden Turnier auszeichnen. Tatsächlich war es ihm eine Lust gewesen, all die Ritter in den Staub zu tjosten, die sich stets über ihn lustig machten, wenn er die Studierstube dem Kampfplatz vorzog. Auf die Dauer war dies jedoch keine Lösung, und Armand machte sich keine Illusionen: Die einzige Möglichkeit, gleichermaßen als Kämpfer wie als Wissenschaftler und Philosoph akzeptiert zu werden, war eine Mitgliedschaft im Orden der Tempelritter.
Im Tempel fand er Gleichgesinnte, man unterstützte seinen Wissensdurst und setzte ihm keine engstirnigen Grenzen. Die Templer zeigten keine Scheu davor, auch mit Juden und Sarazenen freundschaftlich zu verkehren, wenn es ihren Zwecken diente. Armand wäre mit Freuden einer der ihren geworden. Wenn da nur nicht das Keuschheitsgelübde gewesen wäre!
Wollte er ehrlich sein, so fühlte er sich einfach nicht berufen, Gott als Mönch zu dienen. Armand war jung, gerade achtzehn Jahre alt. Er sah mit seinem leicht gewellten hellbraunen Haar und den braunen Augen recht gut aus, und er schaute den Mädchen gern hinterher. Nicht dass er bislang größere Erfahrungen gesammelt hätte – aber es reizte ihn einfach, die weichen Rundungen der Mägde in den Schänken der Franken zu betrachten oder gar über die Geheimnisse der adeligen Schönheiten zu sinnieren, die sich in Outremer kaum seltener verschleierten als ihre orientalischen Schwestern. Waren die Bücher es wirklich wert, alldem fürs Leben zu entsagen?
»Setz dich, Armand«, unterbrach Ubaldina seine tristen Überlegungen und füllte zwei Becher Wein, was Armand etwas verwunderte. Wollte sie ihn für eine schlechte Nachricht wappnen? Hatte der Großkomtur etwa bereits entschieden?
»Armand, Guillaume de Chartres hat mich gebeten, dir eine Aufgabe anzutragen!«
Ubaldina spielte mit ihrem Glas, als Armand die Augenbrauen hochzog. Seit wann drückte sich der Großkomtur der Templer so vorsichtig aus – zumal gegenüber einem Knappen? Solange er seine Gelübde nicht abgelegt hatte, bekleidete Armand aller weltlichen Ritterwürde zum Trotz den untersten Rang in der Hierarchie des Ordens. Da waren eher Befehle zu erwarten.
»Genau genommen habe ich dich dafür vorgeschlagen«, fuhr die Nonne fort, schien dann aber nicht weiterzuwissen. Sie nippte an ihrem Becher.
Armand nahm ebenfalls einen Schluck Wein. »Es wird mir eine Ehre sein, Mutter Ubaldina! Ich werde Euch nicht enttäuschen. Sagt mir nur, was ich tun soll.«
Ubaldina kaute auf ihrer Unterlippe, was angesichts ihrer strengen, adlerhaften Züge fast komisch wirkte. »Nun … das ist es ja eben, mein Sohn, was die Sache schwierig macht. Genau
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