Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
gehen müssen. Möchtest du, dass ich wenden lasse?«
Konstanze überlegte kurz. Aber sie spürte kein Verlangen, Jerusalem zu sehen. Sie war müde. Konstanze hatte es satt, unterwegs zu sein. Sie sehnte sich nach einem Zuhause.
»Fahren wir weiter«, entschied sie mit einem Lächeln. »Es ist nur eine Stadt.«
Gisela nahm ihre Burg in Besitz. Sie sonnte sich in den Komplimenten von Armands Vater und seinen Rittern, freute sich an den komfortablen, zum Teil im orientalischen Stil eingerichteten Kemenaten und begrüßte die Ministerialen und Diener. Armand staunte mal wieder über seine junge Frau. Das Kind, das seinem Pferd im Sturm ein Wiegenlied sang, wandelte sich in die gut geschulte Herrin, die für jeden ein paar freundliche Worte, ein kleines Geschenk oder einfach ein Lächeln bereithielt.
Schließlich standen die beiden auf dem höchsten Turm der Burg, und Gisela sah ihren ersten Sonnenuntergang in der neuen Heimat. Die versinkende Sonne tauchte die Wüste in glühendes Rot, und die weißen Häuser der Stadt Akkon, ihre Kirchen und goldgedeckten Paläste schienen das Licht widerzuspiegeln. Vom Söller der Burg aus wirkte Akkon wie eine Spielzeugstadt. Keiner hätte vermutet, wie viele Männer um ihres Glaubens willen an ihren Mauern verblutet waren.
»Es ist schön!«, sagte Gisela ehrfurchtsvoll, als sie die Blicke über die trutzigen Wehranlagen schweifen ließ, hinter denen sich filigrane Minarette und die geheimnisvollen Labyrinthe der Templer- und Hospitaliterbezirke verbargen. »Ein schönes Land, eine wunderschöne Stadt. Ist es … ist es ein bisschen so wie Jerusalem?«
Armand schüttelte den Kopf. »Nichts ist wie Jerusalem. Nicht so schön – und nicht so gefährlich. Manchmal glaube ich, es wäre am besten, die Stadt niederzubrennen.«
»Wie kannst du das sagen?« Gisela erschrak. »Jerusalem ist uns doch allen heilig!«
»Zu heilig vielleicht«, gab Armand zurück. »Zu viele Pilger, die zu viele verschiedene Dinge glauben. Deshalb wird man es auch nie zerstören – aber immer und immer wieder darum kämpfen.«
»Können wir nicht einmal hin?«, fragte Gisela begierig. »Ich würde es zu gern sehen. Nachdem wir so weit gelaufen sind … Magdalena hat nach jeder Wegbiegung danach gefragt …«
Armand seufzte. Er war des Reisens mehr als müde.
»Liebste, es ist weit«, sagte er schließlich. »Nicht unbedingt in Meilen, aber der Weg führt durch feindliches Gebiet. Natürlich bietet der Sultan Pilgern freies Geleit. Aber wir sind nicht irgendwelche Pilger, und es gibt ausreichend Nomadenstämme, die gern den Erben der de Landes in ihre Hand bekämen. Natürlich, wenn es dir sehr wichtig ist.«
Gisela schüttelte den Kopf und lehnte sich an seine Schulter.
»Du bist mir wichtig«, sagte sie zärtlich.
Keines der Kinder, die sich am Rhein und an der Loire, in Köln, Basel und Vendôme aufmachten, das Heilige Land zu befreien, hat Jerusalem je gesehen.
Nachwort
Die Kinderkreuzzüge des Jahres 1212 gehören zu den am wenigsten erforschten Geschehnissen im Mittelalter. Das liegt hauptsächlich an der sehr schlechten Quellenlage. Tatsächlich wird von einigen Historikern – verständlicherweise vor allem von solchen, die der katholischen Kirche nahestehen – sogar geleugnet, dass sie wirklich stattgefunden haben. Dafür sind die Berichte der Chronisten allerdings zu detailliert, die Übereinstimmungen zu genau.
Wenn sich trotzdem nur wenige Historiker für das Phänomen und seine Hintergründe interessierten, so wahrscheinlich deshalb, weil die Menschen, deren Unterfangen schon ihre Zeitgenossen als töricht bezeichneten, nichts in ihrer Welt verändert haben. Weil hier nicht Ritter und Könige scheiterten, sondern nur Arme, Junge, Verzweifelte und Verführte.
Die Kinderkreuzzüge waren und sind eher Themen für Geschichtenerzähler als für Wissenschaftler – es gibt Indizien dafür, dass sie dem Märchen vom Rattenfänger von Hameln als Vorlage dienten.
Die meiner Geschichte zugrunde liegende Theorie, die Kreuzzüge seien – mit oder ohne Wissen des Franz von Assisi – von Mitgliedern des Minoritenordens initiiert worden, stammt von dem umstrittenen Historiker Thomas Ritter. Der Autor belegt sie recht stimmig nach ausgiebigem Quellenstudium, als gesichert gelten kann sie jedoch nicht. Reine Fiktion ist auch die These, Franz von Assisi hätte sich mit der Organisation der Kinderkreuzzüge die Anerkennung seines Ordens erkauft. Zwar bin ich bei der Schilderung der
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