Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
vollenden.«
»Jesus predigte schon mit zwölf Jahren im Tempel!«, hielt Nikolaus ihm vorlaut entgegen.
Ein paar der Gebildeteren unter seinen Anhängern zogen dabei scharf die Luft ein. Sich so forsch mit Gottes Sohn zu vergleichen, war respektlos.
Der Pfarrherr, ein großer, hagerer Mann, ließ sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen. »Jesus debattierte im Tempel mit den Schriftgelehrten«, stellte er richtig. »Wenn du das auch tun möchtest, steht meine Kirche dir offen. Ich will gern mit dir reden, dir vielleicht die Beichte abnehmen, und sicher kommen auch weitere Geistliche dazu. Den Erzbischof von Trier zum Beispiel, dem unsere Stadt untersteht, dauern die Kinder, die hier in ihr Verderben rennen. Und er ist fromm und hochgelehrt. Wenn du uns also Gelegenheit geben magst, dir dein Vorhaben auszureden, so komm herein. Aber deine Anhänger räumen bitte den Kirchplatz!«
Zu Nikolaus’ Ärger erwiesen sich die Pfarrer von St. Florin und der Liebfrauenkirche als ebenso unzugänglich, und zur grenzenlosen Enttäuschung der Kinder fanden sich die Bürger der Stadt auch nicht bereit, das Pilgerheer zu versorgen. Der Metropolit von Trier hatte sich hier wohl deutlich ausgesprochen: Keine Unterstützung für Nikolaus und seine Anhänger! Zum ersten Mal legten sich die jungen Menschen hungrig und außerhalb schützender Stadtmauern zur Ruhe – ein Umstand, den der Tross aus Taschendieben und Gaunern, der sich gleich in Köln rund um den Zug formiert hatte, weidlich nutzte. So mancher Patriziersohn, der die Reise zwar gegen den Willen seines Vaters, aber mit gut gefüllter Geldbörse angetreten hatte, fand sich am nächsten Morgen mittellos.
Es sollte allerdings noch schlimmer kommen. Nachdem die Kinder Bingen passiert hatten, lagerten sie auf freiem Feld zwischen den Burgen Sonneck und Reichenstein am Rhein – beides gefürchtete Raubritternester. Armand war darauf während der Hinreise in mehreren Herbergen aufmerksam gemacht worden, und die Pilgergruppe, mit der er damals reiste, hatte sich schließlich einer großen, von zwanzig schwer bewaffneten Rittern bewachten Reisegesellschaft angeschlossen. Die Herren von Sonneck und Reichenstein hatten sie zweifellos beobachtet, aber nicht angegriffen. Es gab Opfer, die sich weniger zur Wehr setzten – wie jetzt das Kreuzfahrerheer des Nikolaus von Köln.
Armand, der sich stets um eine gewisse Nähe zu Nikolaus und seinen Beratern bemühte – hier bestand schließlich die größte Chance, mehr als nur Gerüchte über Absichten und Hintergründe seiner Mission zu erfahren –, ließ sich inmitten der Kinder nieder. Dort geschah nichts, aber er hörte Schreie und Kampflärm in den äußeren Bereichen des inzwischen riesigen Feldlagers. Der junge Ritter verfluchte seinen Entschluss, sein Pferd abgegeben zu haben. Zu Fuß und orientierungslos im nur von wenigen Feuern erleuchteten Lager war es aussichtslos, den Angegriffenen zu Hilfe zu kommen.
Am nächsten Morgen beleuchtete die Sonne das Debakel: Die Raubritter hatten alles mitgenommen, was sich zu Geld machen ließ – vor allem Mädchen und Pferde. Einige der Kinder und Heranwachsenden hatten sich ihnen todesmutig entgegengestellt, aber ihre Tapferkeit mit ihrem Blut bezahlt. Es gab drei Tote und etliche Verwundete. Die überrumpelten Jungen mit ihren kleinen Messern und Pilgerstäben hatten den Rittern nichts entgegenzusetzen gehabt.
Armand hörte zu seinem Entsetzen, dass Nikolaus selbst die Adligen unter seinen Anhängern vor Antritt der Reise aufgefordert hatte, ihre Schwerter abzugeben. Dieses Heer zog völlig ungeschützt durch die gefährlichsten Gegenden des Reiches! Keine andere Pilgergruppe hätte das gewagt.
»Es war Gottes Wille!«, beschied Nikolaus den Bruder eines der verschleppten Mädchen. Er machte keine Anstalten, dessen Bitte zu folgen, nach Burg Sonneck zu ziehen und die Herausgabe der geraubten Kinder zu fordern. Letzteres war zweifellos klug. Aber in Sachen Gottes Wille dachte Armand völlig anders. Es wäre leicht gewesen, die Gefahren zu vermindern. Gut, die erschöpften Kinder hätten nicht weiterwandern können, bis die Burgen hinter ihnen lagen. Aber hätte man zum Beispiel vor oder gar innerhalb der Stadtmauern von Bingen kampiert, hätte das Heer die Raubritternester bei Tageslicht passiert. Kein unbedingter Schutz, aber doch wesentlich sicherer, als sich dem Gelichter so wehrlos hinzugeben.
Während das Heer in bedrückter Stimmung weiterzog – ein paar Verletzte mussten
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