Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
euch nur vor, Nikolaus würde etwas passieren! Er würde krank werden … sich bei einem der Kinder anstecken oder so etwas. Und dann …«
»Ich denke, Gott hält seine Hand über ihn«, spöttelte Konstanze. »Wenn Gott will, dass er in Genua das Meer teilt, wird er schon auf seine Gesundheit achten. Aber davon mal abgesehen: Welche Ausrede hat Wolfram von Guntheim?«
Das war schwerer zu erklären. Magdalena wurde rot. »Er … er ist ein Ritter … er ist … sozusagen … die Schutzmacht.«
Konstanze wandte nur die Augen gen Himmel, und Dimma verzog in bewährter Weise ihr Gesicht. Gisela war anderweitig beschäftigt. Sie hätte zu Wolfram als Schutzmacht einiges zu sagen gehabt.
Jetzt jedenfalls schlugen die Freunde ihr Lager auf, und Rupert fluchte, weil der rasch aufkommende Wind ihm die Zeltplanen aus der Hand riss. Es war auch schwer, die Heringe im steinigen Boden zu verankern, schließlich stützten die Männer die Zeltpfosten notdürftig mit kleinen Felsbrocken, bevor sie die Leinenplanen darüberzogen. Als sie eben fertig waren, begann es zu regnen – im Laufe der Nacht ging der Regen in Schnee über.
»Schnee! Im August! Ich kann es nicht glauben!« Giselaknabberte an einem Kanten Brot, ein Feuer hatten sie nicht entfachen können.
Konstanze nickte. »Und nun stellt euch vor, wir hingen da drüben in der Felswand!« Sie erschauerte. »Hoffentlich stürzt niemand ab!«
Armand schnaubte und verteilte das letzte Bündener Fleisch. »Einer? Da werden Hunderte abstürzen! Und so mancher erfriert heute Nacht.«
Dimma nickte. »Kuschelt euch nur gut aneinander, Kinder!«, ermahnte sie ihre kleine Schar.
Insgesamt schützte ihre Gruppe inzwischen noch neun Kinder unter zwölf Jahren – wenn man Magdalena nicht mitzählte, die erwachsener und robuster wirkte, aber sicher auch nicht älter war. Vier davon waren Jungen, fünf Mädchen, darunter das kleine Mariechen, liebevoll umhegt und gehätschelt von Dimma und Gisela, aber schmal und blass.
»Und passt auf, falls ihr nachts herausmüsst!«, fügte Armand hinzu. »Ein paar Schritte von den Zelten weg ist ein Abgrund.«
Tatsächlich schlief keiner von ihnen sehr gut in dieser Nacht, obwohl alle übermüdet waren. Armand und Rupert sorgten sich um die Pferde und gingen immer wieder hinaus, um nach ihnen zu sehen. Gisela behauptete, die ganze Nacht ein Weinen und Klagen gehört zu haben.
»Der Wind«, beruhigte sie Armand, aber das Mädchen schüttelte den Kopf, und auch Konstanze wirkte beunruhigt.
»Ich hab auch so was vernommen – wie ein Echo, als käme es vom anderen Ende der Schlucht. Können wir nicht nachsehen?«
Rupert schüttelte den Kopf. »Ans andere Ende der Schlucht kommst du noch früh genug!«, höhnte er. »Wir sollten jetzt sowieso aufbrechen … es kann doch nicht dein … Euer … Ernst sein, Monseigneur Armand, dass Ihr jetzt noch Feuer macht!«
Es hatte aufgehört zu schneien, und über den Bergen gingeine schwache Sonne auf, aber noch lagen Schneereste auf den Felsen.
»Rupert, wir sind alle durchgefroren!«, gab Gisela zu bedenken. »Ein heißer Kräuteraufguss oder etwas Wein täte …«
»Kein Wein!«, bestimmte Konstanze. »Wir können keinen Rausch gebrauchen. Aber es ist bestimmt sinnvoll zu warten, bis der Schnee geschmolzen ist. Wir rutschen sonst noch aus an dieser Felswand.«
Konstanze war ebenfalls beunruhigt. Als sie aus dem Zelt gegangen war, um Schnee am Feuer zu schmelzen, vermeinte sie erneut, ein schwaches Weinen zu hören. Sie wäre dem Laut gern nachgegangen, vermochte ihn aber nicht zu lokalisieren.
Der Schnee war weitgehend getaut, als die Wanderer ihr karges Frühstück schließlich eingenommen hatten und sich endgültig auf den Weg machten. Der Pfad wurde rasch noch schmaler und wenig griffig, er führte jetzt an einer Felswand entlang und fiel rechts so steil ab, dass man den Grund nicht erkennen konnte. Weiter unten hielten sich Nebelschwaden, es war, als zöge man über den Wolken dahin. Die Mädchen tasteten sich am Fels entlang, der natürlich keinen wirklichen Halt bot.
Armand hatte darauf bestanden, dass alle sich anseilten. Rupert, der als Erster ging, trieb die Pferde vor sich her und hielt sich an Floites Schweif fest. Armand blieb hinter Gisela und setzte mit Todesverachtung Fuß vor Fuß. Er durfte einfach nicht in den Abgrund sehen, dann würde ihn der Schwindel auch nicht übermannen. Verzweifelt konzentrierte er den Blick auf den schmalen Pfad vor sich und das anmutige Mädchen,
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