Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Armand stützte sich nur mit den Füßen an der Felswand ab, während Rupert ihn hochzog. Wenn es nur schneller gegangen wäre! Armand fühlte seine Hände langsam erlahmen, sie waren schon wund von dem sehr rauen Seil. Der junge Ritter brauchte seine ganze Kraft, sich festzuklammern.
Und dann passierte es: Rupert ließ das Seil zum Nachfassen kurz locker, aber der plötzliche Ruck war zu viel für Armands ohnehin schon eiskalte, zerschundene Hände. Das Seil rutschte zwischen seinen Fingern durch, seine Füße fanden keinen Halt – Armand unterdrückte einen Aufschrei, während er stürzte. Er suchte im Fallen Halt an der Felsnase, verfehltesie allerdings. Dann spürte er erleichtert den Ruck an der um seine Brust geschlungenen Sicherungsleine. Sie musste seinen Sturz jetzt aufhalten … Doch der Druck ließ nach! Das Seil fiel herab, und Armand stürzte, ohne Hoffnung auf Rettung.
Er war zu entsetzt, um an ein Gebet zu denken – vor ihm stand nur Giselas lächelndes Gesicht … Er würde während des Falls daran festhalten … ein letzter Traum … ein schöner Traum …
Plötzlich wurde sein Sturz gebremst. Der junge Ritter fand sich auf einer Felsstufe auf dem Rücken liegend – ein grauenhafter Schmerz nahm ihm den Atem. Verzweifelt rang er nach Luft, aber er war wie gelähmt – und dann sah er, wie Gisela sich noch weiter über die Felswand beugte und nach ihm ausschaute.
Nicht! Armand wollte rufen, brachte aber keinen Laut heraus.
Erleichtert nahm er wahr, dass wieder Luft in seine Lungen strömte. Zuerst schmerzhaft, er keuchte, alles tat weh … Aber sein Kopf begann zu arbeiten. Armand versuchte, trotz der Schmerzen Arme und Beine zu bewegen. Er musste herausfinden, ob er sich das Rückgrat gebrochen hatte.
Voller Grauen dachte er an einen Ritter in Akkon, den man beim letzten Turnier völlig bewegungsunfähig vom Platz getragen hatte. Er hatte noch ein paar Tage gelebt, ohne ein Glied rühren zu können. Armand würde die Verzweiflung in seinem Blick niemals vergessen. Wenn er derart schwer verletzt war, würde er hier auf dem Felsvorsprung sterben. Allein, an Kälte und Angst. Jeder Rettungsversuch wäre zu gefährlich. Die anderen mussten ihn liegen lassen. Am besten stellte er sich tot …
Armand bewegte die Finger und atmete auf, als sie seinem Befehl gehorchten. Er fuhr fort, Arme und Beine zu erproben, und empfand unendliche Erleichterung, als auch sie sich regten. Jeder Muskel schmerzte – er musste sich den Rückengeprellt haben –, aber bewegungsunfähig war er nicht. Der Ritter schickte ein Dankgebet zum Himmel – und dachte dabei nur an das Mädchen über ihm. Gisela würde versuchen, ihn zu retten. Aber kam dabei womöglich noch jemand zu Schaden?
»Er lebt, er bewegt sich!« Gisela spähte in so halsbrecherischer Haltung nach Armand aus, dass Dimma aufschrie.
Konstanze ließ ihren kleinen Patienten liegen und schlang ein Tau um Giselas schmalen Körper. »Ich sichere dich, damit du nicht auch noch stürzt«, erklärte sie und legte sich dann ebenfalls bäuchlings auf den Pfad, um halbwegs ungefährdet über die Klippe schauen zu können. »Herrgott, tatsächlich, es ist noch Leben in ihm. Armand! Hörst du uns?«
Armand hörte sie, aber er fand noch nicht die Kraft, seinerseits zu rufen. Die Mädchen sahen jedoch, dass er versuchte, sich aufzusetzen.
»Wir müssen ihm ein Seil herunterwerfen … Rupert!« Gisela verfiel in hektische Geschäftigkeit, während der Knecht noch wie betäubt in den Abgrund schaute. »Rupert! Ein Tau!«
Rupert regte sich. »So ein langes Seil haben wir gar nicht …«, bemerkte er.
Gisela griff sich an die Stirn. »Dann knote zwei zusammen! Wieso hast du ihn überhaupt losgelassen? Er …«
»Ich hab ihn nicht losgelassen! Er hatte nicht genug Kraft! Und jetzt kommt er da erst recht nicht rauf!« Empört erhob Rupert die Stimme zu seiner Verteidigung.
Gisela baute sich mit flammenden Augen vor ihm auf. »Dann wirst du eben hinunterklettern und ihn holen! Oder ich tue das. Wir werden ihn nicht verletzt da unten liegen lassen, bis er erfriert oder ihn die Geier fressen!« Sie beugte sich wieder hinunter. »Armand!«, schrie sie. »Wir kommen! Wir holen dich!«
Dimma hatte sich inzwischen von ihren Kindern gelöst und tastete sich mit Todesverachtung zu den Pferden vor.Dort musste weiteres Tauwerk sein. Und sie hatten keine Zeit, die Lage noch weiter zu diskutieren.
Die alte Kammerfrau hatte das Wetter im Auge behalten und registrierte nicht nur
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