Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
seile mich ab. Und du ziehst das Kind hoch, Rupert, und anschließend hilfst du mir.«
»Aber … aber … nein!« Gisela erschrak zutiefst.
Natürlich wollte sie dem Kind helfen. Um Rupert hätte sie sich auch nicht gesorgt, aber Armand … Es durfte nicht sein, dass der junge Ritter sich da hinunterwagte! Dann schlug jedoch ihr schlechtes Gewissen.
»Sei bloß vorsichtig!«, schwächte sie schließlich ab.
Armand warf einen Blick auf die Gruppe auf dem unsicheren Pfad. Die Kinder hatten sich inzwischen hingekauert. Im Sitzen erschien ihnen ihre Position wohl sicherer. Die Kleinsten versteckten die Gesichter in Dimmas Röcken. Konstanze stand mit bleichem Gesicht an die Felswand gelehnt. Gisela lag noch immer bäuchlings auf dem Felsvorsprung und hielt Kontakt mit dem verunglückten Kind. Armand suchte ihren Blick und hätte sich in ihren schönen, furchterfüllten Augen verlieren können. Was taten sie hier? Warum schleppten sie sich über lebensgefährliche Pfade, statt einfach beieinander zu sein? Irgendwo, wo es sicher war … Ein Rosengarten in einem Minnehof … Einen Herzschlag lang träumte er von einem Ort, wo er sie lieben konnte.
Dann rief er sich jäh zur Ordnung. Es gab keinen solchen Ort, und überdies musste zunächst dieses Abenteuer bestanden werden. Armand prüfte noch einmal die Befestigung seines Kletterseiles. Er wusste nicht, wie Bergsteiger ihre Taue um die Haken wanden, aber seinen Streithengst hätte dieser Knoten gehalten, und wenn er dem Zug von tausend PfundPferdekraft nicht nachgab, so sollte er auch einen Menschen sichern.
Vorsichtshalber wand Armand sich ein weiteres Tau um den Körper und befestigte es ebenfalls. Wenn er stürzte, so wenigstens nicht tief, das Seil würde ihn auffangen. Rupert konnte ihn später daran hochziehen. Armand überlegte, was er noch tun könnte, aber weitere Maßnahmen zu seiner Sicherung fielen ihm nicht ein. Es gab auch keinen Grund, den Aufbruch weiter zu verzögern. Der junge Ritter sah nicht nach unten, sondern warf nur einen letzten Blick in Giselas angsterfülltes Gesicht, bevor er sich über die Felswand schob.
Armand hatte als Knappe gelernt, sich an Tauen hinaufzuziehen und herunterzurutschen. Es diente der Körperertüchtigung und konnte auch mal gebraucht werden, um eine Burg zu stürmen. Wenn er nicht in die Schlucht sah, konnte er sich vorstellen, nur einen Übungshang hinabzusteigen.
Tatsächlich erreichte er den kleinen Jungen rasch, fand aber kaum Halt auf der Felsnase, auf der das Kind wimmernd kauerte. Die herannahende Rettung hatte bei dem blonden Knaben keine neuen Kräfte mobilisiert. Eher schien der Kleine nun völlig zusammenzubrechen. Armand versuchte, wenigstens sein Knie auf dem Felsen zu platzieren. Dabei sprach er beruhigend auf das Kind ein.
»Nun nimm schon das Seil und sichere ihn!«, zischte Gisela derweil Rupert zu. Der Knecht verfolgte die Rettungsaktion gebannt, aber tatenlos. »Das Tau, das er sich um den Leib gewunden hat! Halt es straff, dann hat er die Hände frei und kann den Kleinen festbinden.«
Rupert griff unwillig nach dem Strick, und Armand fühlte sich mehr als unbehaglich, als er sein Kletterseil tatsächlich losließ. Aber Rupert verfügte über gewaltige Kräfte. Sein Griff gab Armand sicheren Halt, sodass er kaum Zeit brauchte, um das heruntergelassene Tau um den Körper des Kindeszu winden. Er zog es gut fest und griff dann wieder nach seinem Halteseil.
»Ist gut, Rupert! Du kannst mich jetzt loslassen und den Kleinen raufziehen!«
Armand musste schreien, um verstanden zu werden. Inzwischen kam wieder Wind auf, der die Worte fortzuwehen schien.
Als der Kleine nach oben schwebte, fand Armand Halt auf der Felsnase und entspannte sich. Das Kind würde gleich in der relativen Sicherheit des Saumpfades sein. Und ihm sollte es wohl auch gelingen, die Wand wieder hochzuklettern. Er durfte nur nicht hinuntergucken.
Gisela und Konstanze kümmerten sich gleich um den kleinen Jungen, als Rupert ihn über die Felskante zog. Sie betteten das zitternde Kind auf Konstanzes Mantel und legten ihm Decken um.
Rupert wandte sich wieder dem Abgrund zu. »Gut. Dann jetzt Ihr, Herr Ritter!«, rief er mit sardonischem Lächeln hinunter und griff nach Armands Kletterseil. »Ich zieh Euch rauf!«
Armand fragte sich, warum er nicht die Sicherungsleine nahm – er hätte ihn dann unterstützen können, während Rupert so gezwungen war, sein ganzes Gewicht selbst zu stemmen. Aber das schien ihm nicht viel auszumachen.
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