Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Unterhose, nur im Hemd, habe schelmisch, aber auch ein bisschen verlegen gelächelt, »Süßer«, zu ihm gesagt,»jetzt bitte nicht streiten, ich bin gerade so schön in Fahrt«, habe ihn an der Hand genommen und ins Zimmer gezogen. Er sei zwar immer noch sauer gewesen, aber gleichzeitig habe ihn die Situation sehr gekickt, so guten Sex wie an diesem Abend habe er nie wieder gehabt.
Dir war das einfach egal? fragt Daniel ungläubig, und Beule schüttelt den Kopf: egal nicht, aber es gehörte zum Lebenskonzept: alles ausprobieren, keine Besitzansprüche formulieren, aufrichtig bleiben. Fremdgegangen seien die Leute immer, gingen die Leute auch heute, aber Gaby habe die Eier gehabt, ihn nicht zu belügen, und er wisse auch, dass sie ihn nicht verletzen wollte, es nicht getan habe, um ihn eifersüchtig zu machen, das sei kein blödes Spiel gewesen, es habe sich nur einfach so ergeben. Das sei ihr Programm gewesen: den Wünschen nachgehen, radikal und kompromisslos bleiben, das Leben genießen.
Und so sei auch die Beziehung zwischen Fil und jener Frau gewesen? kommt Daniel auf seine ursprüngliche Frage zurück.
Nein, nicht ganz, Michaela sei ein wenig prüder gewesen, aber viel wisse er darüber nicht, so viel hätten Fil und er sich nicht über ihr Liebesleben ausgetauscht.
Und die Bücher? fragt Daniel. Was hat es mit den Büchern auf sich? Mit den Lyrikbänden aus Rumänien?
Du hast ja eine richtige Hausdurchsuchung gemacht, Beule lacht auf, es soll spöttisch klingen, erinnert aber wieder nur an ein Wiehern.
Ich wohne da, erwidert Daniel.
Sie stammt aus Sibiu, antwortet Beule nach einer Pause, Rumänien, '82 sei sie mit ihrer Mutter herübergekommen, die Bücher müssten von der Mutter stammen.
Elas Mutter.
Ela?
Michaela.
Komischer Spitzname, sagt Daniel und fügt spitz hinzu: Obwohl besser als Beule, Kotze oder Vollrausch.
Vollrausch, erklärt Beule, habe bei ihnen eigentlich niemand geheißen.
Und warum seien sie nach Berlin gekommen, diese Ela und ihre Mutter?
Beule macht eine Geste, als handele es sich um die dümmstmögliche Frage.
Alle seien damals nach Westberlin gekommen. Die Wehrdienstflüchtlinge, die Schwaben, David Bowie. Ob Daniel wisse, dass Bowie, das sei allerdings ein bisschen früher gewesen, schon in den Siebzigern, glaubte, ein Außerirdischer zu sein: Ziggy Stardust. Irgendwie schwul und von einem anderen Planeten. Über die Musik könne man sich streiten, aber Bowie habe cool ausgesehen. Ziggy Stardust …
Er blickt aus dem Fenster, wieder glänzen die Augen kurz, er erinnert sich. Ela sei ziemlich jung gewesen, sieben oder acht Jahre jünger als Fil, habe mit ihrer Mutter in der Nähe des Kanals gewohnt. Als sie das Haus in der Cuvrystraße besetzten, als Fil, Beule und die anderen das Haus besetzten, habe sie oft vorbeigeschaut, sei sie immer öfter gekommen, bis sie schließlich ganz eingezogen sei. Im Keller habe es an den Wochenenden Konzerte gegeben, es waren die Jahre des Punk, viele seien damals ins Haus gekommen, und Daniel denkt: Er hat die Frau wie Conny, die Mutter, auf einem Konzert kennengelernt.
Sieben Jahre jünger? fragt er, Fil war 21, sie 14?
Sie seien erst später zusammengekommen, erklärt Beule.Als er selbst schon weg war, in Frankreich. Aber ja, der Vater habe offensichtlich auf jüngere Frauen gestanden.
Wann später?
Vielleicht '87.
Der Vater war 25, rechnet Daniel nach, sie 18, ich zwei.
Ob Beule ihre Nummer habe.
Wessen Nummer?
Die Nummer der Frau.
Sie sei in Rumänien.
Bis wann?
Für immer.
Wieso?
Irgendwann habe sie die Schnauze voll von Berlin gehabt. Von ihren Freunden, von Leuten wie Beule und Fil.
Habe Beule nicht behauptet, man habe sich damals auf seine Freunde verlassen können?
Ja, das habe Ela wohl auch gedacht. Deswegen sei sie wahrscheinlich auch so abgegessen gewesen.
Es hat mit Fil zu tun, denkt Daniel, du hast es verbockt, du hast alles verbockt , aber er erwähnt den kleinen gelben Zettel nicht, der alles Mögliche bedeuten kann, der weder von Michaela stammen noch an Fil gerichtet gewesen sein muss. Er möchte nicht weiter mit Beule über den Vater sprechen. Er will nicht nur Anekdoten hören, die an Comic-Strips erinnern. Er will wissen, wie Fil gefühlt hat, will herausfinden, was es jenseits der Parolen, jenseits von Lebe wild und gefährlich , von Experimenten und Kompromisslosigkeit noch gegeben hat. Daniel nimmt Beules Feuerzeug in die Hand, dreht es zwischen den Fingern hin und her, fragt sich, ob er diese Frau
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