Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
meinst du, es war ihm peinlich? Aber Beule macht nur eine verschlafene Geste, ein Handzeichen, das alles und nichts bedeuten kann, antwortet erst, als Daniel die Frage hinterherschiebt, was er eigentlich mache, womit er sein Geld verdiene.
Software. Navigationssysteme.
Er verkauft sie?
Ich programmiere sie.
Die Wohnungseinrichtung macht nicht den Eindruck, als verdiene der Freund des Vaters besonders viel Geld: eine kleine DVD -Sammlung, ein Flachbildfernseher, ein neues Sofa. Daniel denkt: eigenartig, vom Straßenkampf ins kleinbürgerliche Heim. Sehr wohlhabend sind sie nicht geworden, die alten Genossen, aber es reicht.
Ohne weitere Erklärung zieht er das Foto aus der Tasche, auf dem der Vater und die Frau vor einem alten Mercedes zu sehen sind – Sommerlicht, Gänse, ein Sandweg. Beule lehnt sich langsam nach vorn, wie in Zeitlupe.
Das ist in Rumänien.
Und die Frau, wer ist die Frau?
Michaela.
Hatten sie was miteinander?
Beule lacht kurz auf, es klingt wie ein Wiehern. Der Vater und sie seien eher ein Kollektiv als ein Paar gewesen, sagt er kryptisch, und Daniel versteht nicht.
Sie hätten eine Liebesbeziehung gehabt. Aber nicht nur das und auch nicht nur die beiden. Das sei alles ein bisschen vielschichtiger gewesen.
Damals , wirft Daniel ein.
Damals, bestätigt Beule.
Was er damit meine?
Beziehungen seien anders gewesen, sagt Beule, legt den Kopf zur Seite und schweigt einen Moment, so wie er vor einigen Tagen bei seiner Supermarktgeschichte gezögert hat. Er könne das, wenn Daniel wolle, an einer Geschichte veranschaulichen, die mit Fil nichts zu tun hat, und Daniel, der eigentlich keine Anekdoten mehr hören will, nickt unsicher, weil er glaubt, froh sein zu müssen, überhaupt etwas über das Leben des Vaters zu erfahren.
Er, Beule, sei damals mit einer Frau zusammen gewesen, setzt Beule also in seinem bereits bekannten Plauderton an, ein bisschen geheimnisvoll, ein bisschen in Nostalgie schwelgend, unmittelbar nachdem er aus Frankreich zurückgekommen war. Die Frau und er hätten zusammengewohnt, es sei eine wirklich enge Beziehung gewesen, aber einmal, als er heimkam, sie hätten ein Plenum gehabt – das müsse er vielleicht ausführlicher erklären, denn ein paar Wochen später sollte der IWF in Berlin tagen, der Internationale Währungsfonds, von Globalisierungskritik habe damals noch niemand geredet, der Zusammenhang von Finanzpolitik, Privatisierungen und Ausbeutung sei noch nicht in den Köpfen gewesen, und deswegen sei es noch bemerkenswerter, was damals in der Stadt geschah, er holt Luft, als sei die Erinnerung zu viel für ihn, Hunderttausend seien auf die Straße gegangen, Taxifahrer hätten mit einem Straßenkorso die Innenstadt blockiert, nachts seien sie in Anzüge geschlüpft, alte Konfirmandenanzüge, er lacht, und seien mit Pfeifen, Tröten und Pauken vor die Edelhotels gezogen, um den Bankern ein Ständchen zu spielen, sie um ihrenSchlaf zu bringen – als er also nach einem dieser Vorbereitungstreffen nach Hause kam, und sein Zimmer betrat, habe Gabi, die Freundin, mit einem Typen im Bett gelegen, einem Kumpel von ihm, mit Manfred, einem Zimmermann, einem Jobberkollegen. Der Typ habe irritiert ausgesehen, immerhin eine kurze Entschuldigung über die Lippen gebracht, aber Gabi, Beule lacht, habe nur kurz gequietscht und gefragt, ob er die Tür bitte wieder schließen könne, die Tür zu seinem eigenen Zimmer. Er sei sauer gewesen, sagt Beule, aber habe auch keine Szene machen wollen, sich deshalb in die Küche gesetzt und ein Bier aufgemacht, während Gabi, seine Freundin, mit Manfred, dem Kumpel und Arbeitskollegen, in seinem Bett weitervögelte.
Er verstummt, und Daniel vom heroischen Tonfall der Erzählung nach wie vor genervt, aber doch irgendwie auch neugierig geworden, stellt die Nachfrage, die Beule hören will: Was dann geschehen sei, ob er die beiden nicht rausgeschmissen habe, wie er damit umgegangen sei, und natürlich grinst Beule. Er habe in der Küche gesessen, Bier getrunken und gewartet – und sei sich wie ein Vollidiot vorgekommen, während Gabi und Manfred nebenan, in seinem Bett, zu Ende vögelten. Irgendwann sei dann Manfred heraus und zu ihm in die Küche gekommen, habe kurz im Türrahmen gestanden und herumgedruckst, sich auch ein Bier aufgemacht, an den Tisch gesetzt und gesagt, es tue ihm leid, wie das alles gelaufen sei, das Timing sei wohl nicht so toll gewesen.
Und dann?
Dann, fährt Beule fort, sei Gabi gekommen, nur im T-Shirt, ohne
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