Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
zwölf Jahre alt, das sich bislang am Rande gehalten hat, wie ein Paria ein Stück abseits stand,nach vorn, um aufdringlich, mit einem wirren Grinsen nach Geld zu verlangen. Die Frau versucht, das dürre, schmutzige Mädchen zu ignorieren, doch ihr Mann fängt auch mit dem Paria-Kind, das aussieht, als schlage es sich die Nächte im Sommer auf Parkbänken, im Winter in den Schächten der städtischen Fernwärmeanlage um die Ohren, ein Gespräch an. Er drückt ihm eine Münze in die Hand, doch das Mädchen setzt sofort nach, verlangt nach einem Schein, nur fünf Lei, was sind fünf Lei für einen Touristen?, und greift dann überschwänglich nach dem Säugling im Buggy. Sie fragt, ob sie das Kind auf den Arm nehmen dürfe, worauf der Vater irritiert, nervös, um ein Lächeln, ein nicht allzu schroffes Auftreten bemüht, zwischen der Frau, dem Mädchen, dem eigenen Säugling hin und her schaut. Schließlich stimmt er zu und verfolgt unsicher, beunruhigt, wie das fremde, dürre Mädchen, das Straßenkind, den Säugling, der am Ende wahrscheinlich nicht viel weniger wiegt als es selbst, mit seinen verdreckten Händen aus dem Sitz hebt und an die Brust drückt. Daniel beobachtet, wie die Gesichtszüge der Mutter erstarren, wie sie das Mädchen mustert, genau im Auge behält, was es mit dem Säugling macht. Doch das dürre Straßenkind, das aussieht, als würde es die kalten Winternächte wirklich in Fernwärmeschächten verbringen, ihr Leben nicht ohne Klebstoff ertragen, stößt nur Freudenjauchzer aus und segnet das Baby mit Gebeten. Der Mann, dem die Situation offensichtlich gleichermaßen unheimlich wie peinlich zu sein scheint, hält dem Mädchen nun den erbettelten Geldschein hin, streckt die Hände nach seinem Kind aus und muss einige Male insistieren, einen gefühlt endlosen Moment warten, bis er den Säugling auch tatsächlich zurück hat, ihn wieder auf dem Arm halten kann.
Als das deutsche Pärchen weitergeht, das Paria-Mädchen setzt sich schnell von der Kinderschar ab, damit die anderen ihr das Geld nicht wieder abnehmen können, beginnt die Mutter zu schimpfen. Sie sagt, dass der Mann nicht einfach wildfremden Menschen ihr Kind überlassen dürfe, Straßenkindern, Bettlern, während der Vater unsicher erwidert, dass sie sich in etwas hineinsteigere, ob sie auch schon angesteckt sei von dieser Wahnvorstellung, dass jeder Zigeuner, er korrigiert sich, jeder Roma ein Verbrecher sei, sie nicht gesehen habe, wie sehr sich das Mädchen gefreut habe, wie dankbar es gewesen sei, einmal nicht als Abschaum behandelt, einer Unterhaltung für würdig befunden zu werden, und die Frau, die nun ihrerseits verunsichert wirkt, vielleicht selbst gerade das Gleiche gedacht, aber den Gedanken nicht zugelassen hat, erwidert, dass es darum nicht gehe, nicht darum, dass das Mädchen ihr Kind, unseren Michel , entführen wollte, sondern dass man Fremden nicht einfach das eigene Kind überlassen dürfe, es nicht einfach so aus der Hand geben könne.
Vielleicht ist sie krank, sagt sie, vielleicht wird unser Michel jetzt krank, siehst du denn nicht? Das Mädchen lebt auf der Straße.
Und Daniel, der die Unterhaltung zufällig mitgehört hat, fällt ein Ereignis aus der eigenen Kindheit ein. Er war mit Fil auf einem Spielplatz, sie müssen also doch zusammen auf Spielplätzen gewesen sein, die Häuser sehen in der Erinnerung überdimensioniert aus, enorm groß, Müll liegt am Boden, braunkohlenstaubverschmierte Brandmauern stehen als Kulisse herum, und Daniel sieht sich als Acht- oder Neunjährigen in einer Kletterspinne herumsteigen. Sie waren den Morgen über unterwegs, haben bei Freunden desVaters gefrühstückt, das heißt Daniel hat sich gelangweilt, während der Vater über Politik diskutierte, und sind jetzt wieder in der Nähe der Wohnung, bei Fil um die Ecke. Daniel sieht sich auf einem Seil stehen, der Metallkern schimmert durch die durchgescheuerte Ummantelung, als plötzlich Schreie vom Bolzplatz herüberdringen. Zwei Jungs, vielleicht zwölf Jahre alt, haben ein anderes, etwas pummeliges Kind als Opfer auserkoren, beginnen es hin und her zu schieben. Das pummelige Kind wehrt sich nicht, lässt sich wie eine Puppe hin und her schubsen, bis es schließlich gegen einen aus der Brandmauer stehenden Metallbügel knallt und am Kopf zu bluten beginnt.
In diesem Moment geht der Vater dazwischen, nimmt den Jungen an die Hand, fragt, wo er wohnt, doch das Kind antwortet nicht, und so beschließt Fil, mit dem Jungen zu einem
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