Der eine Kuss von dir
könnten wir vielleicht dein Zimmer benutzten? Wir müssen uns etwas ausruhen nach dem Ganzen«, fragt Dan mit einem vielsagenden Blick zu Mandy.
»Ausruhen? Verarsch mich doch nicht! Warum redet denn hier niemand Klartext?« Mein Ton ist viel zu schroff, es tut mir sofort wieder leid und ich sehe die beiden entschuldigend an. »Ich meine, ja. Ihr könnt mein Zimmer gerne benutzen.« Ich drücke Dan den Schlüssel in die Hand. »Für was auch immer.« Soll doch wenigstens ein Pärchen hier machen können, was es will!
Das Konzert geht weiter mit zwei langsamen Songs. Ich hole meine Kamera, verdrücke mich in eins der kuscheligen Sofas und kann die Band nur noch von der Seite sehen, wenn sich die tanzende Gruppe von der Bühne wegbewegt. Ich filme das Publikum, zoome einzelne Gesichter heran, die Bardame Franzi, wie sie lässig Drinks mixt, tanzende Füße auf dem Holzboden, ein knutschendes Paar in der Ecke, Christian und Matse am Mischpult, wie sie sich etwas ins Ohr rufen.
»Kann ich dir was ausgeben?«, fragt Edgar, der an mir vorbei in Richtung Bar schlendert.
»Ja. Irgendwas. Alkohol mal zur Abwechslung!« Ich stecke die Kamera in die Tasche zurück und folge Edgar zur Bar.
»Willst du dich betrinken?« Er reicht mir einen Tequilla und stößt mit mir an. »Ich habe dich nämlich noch nie betrunken gesehen, ist bestimmt lustig.«
»Ich habe meinen Eltern versprochen, mich nicht zu betrinken. Oh Mann, ich bin echt so eine Memme!« Ich bestelle gleich noch eine Runde. Edgar zieht seine Augenbrauen nach oben.
»Na ist doch wahr! Ich habe echt keine Ahnung vom Leben, nix … ehrlich. Wer hält sich denn bitte an Versprechen Eltern gegenüber? Und wer verliebt sich denn verdammt noch mal in einen Rocksänger!« Jetzt ist es raus, nach nur zwei Tequilla.
»Komm her.« Edgar nimmt mich in den Arm und wiegt mich im Takt der Musik. Zum tausendsten Mal bin ich froh, dass er da ist.
Die BlackBirds müssen zwei Zugaben spielen, sodass Franzi schon fürchtet, die Polizei könnte kommen. Ich stehe bei den letzten Liedern vorne, bin betrunken und starre Milo herausfordernd an. Aber er ist so konzentriert auf seine Musik, dass er es gar nicht bemerkt. Robert drischt auf seine Drums ein, wieder einmal spielt er um sein Leben, und ich frage mich, ob es heute Wut oder Glück ist, was ihn antreibt.
Als das Konzert vorbei ist, legt der DJ Platten auf, aber die meisten gehen erstmal nach draußen, um frische Luft zu schnappen.
»Seid bloß leise! Wegen der Nachbarn!«, ruft Franzi ihnen hinterher.
Milo verstaut seine Gitarre in der Hülle, das macht er immer gewissenhaft, und setzt sich an den Bühnenrand, wischt sich den Schweiß von der Stirn und lächelt ermattet. »War doch gar nicht so schlecht.«
»War euer bestes Konzert«, erwidere ich, und meine Zunge fühlt sich ganz schwer an.
»Bist du betrunken?«, fragt Milo und mustert mich.
»Vielleicht.« Ich will eigentlich mit ihm über Linda sprechen, aber mein Zustand ist dafür nicht der günstigste. Ich sollte mir eher etwas zu Essen holen, mir kaltes Wasser ins Gesicht klatschen.
»Wollen wir in dein Zimmer hochgehen?« Er streicht mir mit der Hand über den Rücken und mir wird etwas schwindelig.
»Nee, bei mit treiben es Dan und Mandy miteinander.« Ich pruste los.
»Was?« Er sieht mich erstaunt an.
»Das wundert dich? Wirklich? Ist doch hier alles Rock’n’Roll, oder nicht? Alles dreht sich um Sex und Bier und Yeah, Yeah, Yeah!« Ich knuffe ihn in die Schulter.
»Mann, du bist wirklich betrunken!«
»Na und! Nur weil du nicht trinkst, brauchst du nicht glauben, dass du kein Dreck am Stecken hast.« Ich greife mir eine halb volle Flasche Bier, die am Bühnenrand steht und trinke demonstrativ drei große Schlucke.
»Komm, wir gehen raus.« Milo steht auf und streckt mir seine Hand entgegen, aber ich will nicht aufstehen, weil ich fürchte, über meine eigenen Füße zu stolpern.
In dem Moment kommt Edgar in den Keller gerannt. Er sieht sich nach allen Seiten um, und als er uns entdeckt, steuert er mit erschrockenem Gesicht auf uns zu. »Es ist wegen Linda!« Er ist ganz außer Atem.
»Ach Linda!« Ich winke ab, will von Linda heute nichts mehr wissen.
»Was ist los?«, fragt Milo besorgt.
»Jetzt kommt endlich mit!« Edgar rennt voraus.
Milo sieht mich an, doch als ich keine Anstalten mache aufzustehen, lässt er mich sitzen und folgt Edgar. Es ist wirklich phänomenal, wie Linda es schafft, jedes Mal die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
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