Der eine Kuss von dir
zu toppen sein.
Auf dem Rückweg laufe ich zufällig an Lindas Zimmer vorbei, die Tür ist einen Spalt offen, ihre Eltern sitzen neben ihrem Bett auf Stühlen. Linda liegt mit geschlossenen Augen da und ich kann ein paar Schrammen in ihrem Gesicht erkennen. Ich hätte meinen Mund halten sollen! Schnell laufe ich weiter – wenn sie mit jemandem nicht reden will, dann bestimmt mit mir.
Als ich in den Wartebereich zurückkomme, winkt Milo mich nach draußen. Wir laufen schweigend die Treppe runter und treten durch den Hintereingang in einen begrünten Hof, wo ein paar Bänke stehen.
»Wollen wir uns setzen?«, murmele ich.
»Nein«, erwidert Milo schroff und sieht mir in die Augen.
»Das ist echt krass, was passiert ist, ich …«
»Warum hast du ihr von uns erzählt?«, unterbricht er mich.
»Warum? Ich habe … ich dachte, nein, sie dachte, du hättest ihr das Lied gewidmet und wolltest sie zurückhaben. Sie wollte Rat von mir … Es war eine unmögliche Situation«, verteidige ich mich.
»Ich habe dich gebeten, nichts zu sagen. Ich habe gesagt, ich kümmere mich darum.« Er hört sich an, als müsse er sich sehr beherrschen, nicht wütend zu klingen.
Dafür steigt in mir jetzt Zorn auf. »Ja, du hast gesagt, du würdest dich kümmern, und dann hast du es ja ganz offensichtlich nicht getan!«
»Es gab keine günstige Gelegenheit, ich wollte abwarten …«
»Das ist mir egal! Du hast nicht nur Linda in eine Scheißsituation gebracht, sondern auch mich, und ich frage mich langsam, warum ich das mitgemacht habe!«
»Du verstehst das einfach nicht!« Er rauft sich die Haare und will nach meiner Hand greifen, aber ich ziehe sie weg. »Frieda! Ich mag es nicht, wenn Leute sich in Sachen einmischen, obwohl sie keinen blassen Schimmer haben, was los ist.«
»Ach ja? Immerhin geht mich die Sache auch was an, das vergisst du nur ständig.« Ich klinge verzweifelt, das möchte ich gar nicht. Ich möchte stark sein und die Dinge an mir abprallen lassen, ich will nicht, dass Milo denkt, er könne mich verletzen.
»Du hast einfach keine Ahnung, wie das bei Linda ist. Ihre Scheißfamilie, ihre total durchgeknallte Mutter und der Vater, der jetzt scheinheilig an ihrem Bett sitzt. Ihre beknackten Freunde, durch die sie ständig in Schwierigkeiten war. Ich könnte dir tausend Sachen erzählen …«
»Nein, danke. Weißt du, was das Schlimmste an alldem ist?« Ich sehe ihm fest in die Augen. »Das Schlimmste ist, dass bei der ganzen Geschichte auch noch du so ein Arsch bist und sie hinter ihrem Rücken hintergehst!« Und damit wende ich mich ab und laufe quer über den Hof zum nächsten Ausgang.
Erst als ich am Auto bin, blicke ich suchend über den Parkplatz, und bin wütend, dass Milo mir nicht gefolgt ist. Ich setze mich auf die Motorhaube, mein Magen knurrt noch immer, ich bin wütend und traurig zugleich, und vor allem tue ich mir selber schrecklich leid. Er hat mich doch geküsst! Damals im Rainbow-Club . Ich hätte ihn in Ruhe gelassen, von Weitem angehimmelt vielleicht, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich an ihn ranzuschmeißen. Er hat mich geküsst, er hat von Durchbrennen gesprochen, er wollte für mich in seiner Wohnung kochen! Ich bin nicht gemacht für diese ungeklärten Verhältnisse, für diese Rock’n’Roll-Nummer. Ich bilde mir manchmal ein, ich könnte das – als wäre ich so schweinecool und würde mit Unverbindlichkeiten total gut klarkommen –, aber das ist eine Lüge. Und insofern bin ich wohl selber schuld!
Edgar kommt durch die Drehtür nach draußen und lächelt, als er mich entdeckt. In der Hand hält er zwei Kaffee und eine knisternde Papiertüte. Er setzt sich zu mir auf die Motorhaube, reicht mir einen Becher und lässt mich in die Tüte greifen. Ich ziehe einen riesigen Schokomuffin raus. Das tröstet mich tatsächlich ein wenig.
»Milo hat den Snackautomaten attakiert. Der hat sein Geld geschluckt und dann ist er voll …«
»Ist mir egal.«
»Ist es nicht.«
Er hat natürlich recht, aber auch das nervt. »Warum glaubst du, immer alles zu wissen, hä?«
»Das liegt daran, dass ich nicht involviert bin. Von außen sieht man alles viel klarer.« Er lehnt sich zurück und stützt sich auf seine Ellenbogen.
»Was siehst du denn so von außen?«, fordere ich ihn heraus.
»Ganz ehrlich?«
»Ja.«
»Okay. Ich sehe, dass du irgendwie total verknallt bist, es aber natürlich nie zugeben würdest. Vielleicht weil du denkst, es wäre unangemessen, weil du doch eben noch in
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