Der eine Kuss von dir
sind ein hartes Publikum.«
»Ihr macht das schon. Ihr seid eine gute Band«, versuche ich, ihn zu beruhigen.
»Sind wir das?«
Woher kommt diese plötzliche Unsicherheit? Ich hatte bisher angenommen, die Jungs würden sich für die Größten halten.
»Wollen wir eine Runde spazieren gehen?«, schlage ich vor.
Milo nickt, blickt sich aber unruhig im Raum um. Als er sicher ist, dass keiner auf uns achtet, geht er vor, Richtung Tür. Aber wir kommen nicht weit. Plötzlich verstellt Dan uns den Weg. Hinter ihm steht verlegen lächelnd das Mädchen vom Foto, Mandy aus Brandenburg.
»Na, ihr Loser!«, ruft Dan.
Alle sehen irritiert zu den beiden, brauchen einen Moment, um zu verstehen, und fangen dann an zu applaudieren.
»Yeah! Da ist er wieder!«
»Auferstanden aus Ruinen!«
»Alter, wo hast du gesteckt?«
Und selbst Edgar scheint sich zu freuen – würde er zwar nie zugeben, aber seine Mundwinkel zucken verdächtig.
Dan umarmt Milo und mich gleichzeitig, dann stellt er uns Mandy vor. Wir reichen uns die Hände. Robert verlässt nun doch seinen Sessel und organisiert bei Franzi Bier für alle, verteilt die Flaschen, die Deckel ploppen auf und es wird angestoßen.
»Das hab ich dir zu verdanken. Und keine Sorge, ich habe den Heiratsantrag zurückgezogen«, flüstert Dan mir ins Ohr, und auch Mandy lächelt mir so zu, als würden wir uns schon lange kennen. Ich renne schnell zu meinem Rucksack, um die Kamera zu holen, diese Wiedersehensszene muss dringend festgehalten werden.
Als das erste Erstaunen vorüber ist, erzählt Dan davon, wie er zurück nach Brandenburg getrampt ist, wie er bei Freddie vom Jugendclub nach Mandys Adresse gebettelt hat, was für ein Akt es war, ihre Eltern zu überreden, dass Mandy sich das Konzert ansehen darf. »Morgen muss sie wieder zurück sein. Also müsst ihr heute euer Bestes geben!«
»Ich habe sie doch schon im Rainbow gesehen. Da waren sie super«, versichert Mandy und zupft Dan an seiner Jacke.
Ein paar Studenten kommen runter, um beim Aufbau zu helfen. Der Spaziergang mit Milo fällt flach. Er muss sich jetzt für den Soundcheck bereithalten.
Da sind sie wieder, diese zähen, etwas langweiligen Stunden auf Tour. Zumindest für mich. Alle haben ihre Aufgaben, und alles geht schleppend voran, immer ist etwas mit der Technik und muss reperiert werden, Gitarrensaiten reißen und müssen neu aufgezogen werden, Scheinwerfer werden umgehängt. Für mich gibt es nichts weiter zu tun, als überflüssig herumzufläzen und Schluckauf vom vielen Club-Mate-Trinken zu bekommen. Ich breite mich auf dem Sofa aus, lege die Arme hinter meinen Kopf und schließe die Augen. Die Geräusche um mich herum beruhigen mich, ich fühle mich geborgen bei den bekannten Stimmen, die durcheinanderplappern, bei dem Klang, wenn die Gitarre gestimmt wird, beim Klackern der Absätze auf dem Holzboden. Es ist wie zu Hause, wenn ich krank im Bett liege. Ich muss Mama und Papa gar nicht sehen, er reicht, wenn ich ihre Stimmen in der Küche höre, das Brutzeln von Zwiebeln in der Pfanne oder den Staubsauger im Wohnzimmer. Ich kann entspannt wegdösen, fühle mich in absoluter Sicherheit. Ähnlich ist es hier, jetzt, wie ein neues Zuhause.
Das Konzert soll pünktlich um 20:30 Uhr anfangen, man will es sich mit den Nachbarn nicht verderben. Es sind hundert Gäste gekommen, vielleicht auch mehr. Neben der Bühne legt der DJ seine Blues-Platten auf. Frisch geduscht schlängle ich mich an den Besuchern vorbei zur Bar. Wortfetzen dringen an mein Ohr, ausgelassene Gespräche in Deutsch und Polnisch, Englisch und sogar Französich. Was für eine Wohltat nach der Sache in Eberswalde!
Tom, Robert und Milo lungern in einer Sitzecke rum, konzentrieren sich, bereiten sich mental auf ihren Auftritt vor. Ich beobachte sie eine Weile dabei, will aber nicht stören. Edgar stellt sich zu mir an die Wand und schweigend betrachten wir eine Weile die Leute.
»Na, keine alten Frauen heute mit dabei?«, ziehe ich ihn auf.
»Halt bloß die Klappe.« Er knufft mich in die Seite. »Wie war es heute im Tourbus?«
»Ach, na ja, nicht besonders aufregend«, seufze ich.
»Wegen Linda?«
»Nee, ich weiß nicht.«
»Ihr solltet das jetzt langsam echt mal klären«, ermahnt er mich.
»Meinst du?« Ich sehe Milo dabei zu, wie er gedankenverloren an seiner Jeans rumzupft, als würde er Fussel entfernen wollen.
»Ist ja nicht so, dass ich es zum ersten Mal sage.« Edgar schüttelt den Kopf.
Einer der Studenten schwingt sich auf
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