Der eine Kuss von dir
Musik sagen wollen. Ich mustere die Mädels und frage mich, welche von denen Milo eine Telefonnummer zustecken wird. Edgar, Dan, Matse, Christian und ich sitzen währenddessen an einem Tisch, die Jungs unterhalten sich lautstark, reißen Witze, ziehen eine Bilanz der Tour, aber ich kann mich nicht richtig am Gespräch beteiligen, weil ich immer wieder Richtung Milo schiele und im Kopf schon mein eigenes Gespräch vorbereite. Lustlos kaue ich auf Tortillachips herum und lächle ab und zu alibimäßig in die Runde.
Ich fühle mich unsicher, weiß nicht, wie ich am Besten auf Milo zugehen soll. Alles Vertraute zwischen uns scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Als wären wir wieder bei null. Ich höre ihn an der Bar laut lachen und frage mich, ob das derselbe Milo ist, der mit mir nach Vegas durchbrennen wollte.
Als er sich auf den Weg zur Toilette macht, verlasse ich meinen Platz und folge ihm mit einigem Abstand, bleibe vor dem Jungsklo stehen. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Ich lehne mich an die Wand, versuche lässig zu wirken, aber als ich von drinnen die Spülung höre, fange ich an, nervös meine Finger zu reiben.
Er tritt in den Flur, und das Lächeln, das er vielleicht seinem Spiegelbild zugeworfen hat, verabschiedet sich, als er mich sieht. Seine Haare sind nass, das Wasser tropft lautlos auf seine Schultern und da sind Ringe unter seinen Augen. Er wirkt erschöpft.
»Nicht jetzt, Frieda«, sagt er leise und traurig.
»Doch jetzt. Sonst platze ich.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu, aber als er zurückweicht, halte ich inne.
Wir bleiben einfach so stehen, sehen aneinander vorbei, und ich höre Milo seufzen.
»Das war ein tolles Konzert«, versuche ich die Stimmung aufzulockern.
»Ja.«
»Milo, ich …«
»Frieda, ich meine es ernst, jetzt nicht.« Er setzt schon zum Gehen an.
»Du kannst mich jetzt nicht einfach hier so stehen lassen.«
Das klingt wehleidig, und ich weiß nicht, wo mein ganzes schön zurechtgelegtes Gespräch geblieben ist, das ich mit Milo führen wollte. So sollte es jedenfalls nicht laufen.
»Und du kannst nicht verlangen, dass ich ausgerechnet jetzt mit dir rede, nur weil es dir gerade so passt. Da drin sind Leute, die auf mich warten. Ich habe gerade ein Konzert gespielt und ich möchte das Gefühl erst auskosten.« Jetzt sieht er mich an.
»Es macht mich verrückt, dass du mich ignorierst!« Auch das wollte ich nicht sagen, doch jetzt ist alles durcheinandergeraten und ich finde nicht mehr raus.
»Wir reden morgen.«
»Nein! Wir reden jetzt!« Wie ein bockiges kleines Mädchen stampfe ich mit dem Fuß auf.
Milo schüttelt resigniert den Kopf, er streicht über meinen Arm, dreht sich dann um und geht.
Das macht mich völlig fertig. »Siehst du, das sind genau die blöden Überraschungen, von denen ich sprach! So ist das eben, wenn man sich mit jemandem einlässt, den man nicht kennt! Vergiss es einfach!«
Er dreht sich noch mal nach mir um. »Tut mir leid.« Dann ist er verschwunden.
Ich kann das alles nicht glauben.
Da ist ein Kloß in meinem Hals, der immer größer wird, mit jeder weiteren Sekunde. Ich weiß nur, dass ich jetzt hier nicht heulen will, nicht vor der Toilettentür, wo jeden Moment jemand vorbeikommen kann und mich sieht in meiner ganzen Armseligkeit. Der dann mit dem Finger auf mich zeigt, lacht und sagt: »Genau das passiert, wenn man mit einem Rocksänger rumknutscht!«
Ich gehe schnell in die Toilette, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, kann mein Spiegelbild nicht ansehen und haste Richtung Tür.
Draußen ist es dunkel und ruhig. Die einzigen Geräusche dringen durch das offene Fenster der Bar auf die Straße. Ich kann Dan in der Menge lachen hören. Ich laufe einfach los, vorbei an der weißen Kirche, einem Kinderspielplatz, einer Bushaltestelle, über das Kopfsteinpflaster hin zum Wasser. Kein Mensch weit und breit. Hinter den Fenstern der Häuser ist es bis auf ein paar wenige Ausnahmen dunkel. Am Hafen schlagen Seile leise gegen den Fahnenmast und der Wind lässt die Blätter in den Bäumen rascheln. Dort setze ich mich auf einen kleinen Steg, ziehe die Knie ran und umschlinge sie mit meinen Armen.
Jetzt können die Tränen kommen. Ich will es sogar, den Kloß im Hals wegheulen, das schlechte Gefühl im Magen, das Ziehen im Herzen. Aber es kommt nichts.
Im Schilf sirren Insekten, und ich starre auf das Wasser, das leise gegen die Stegpfosten schwappt. Das perfekte Setting, um in Selbstmitleid zu versinken. Aber ich hätte es
Weitere Kostenlose Bücher