Der Einsatz
entfernt? Fünfzig Kilometer? Achtzig? Harry kehrte zu seinem Sessel zurück. Molavi sah ihn aufmerksam an, bereit, weiterzumachen. Er war ein guter Junge. Der Gedanke, ihn womöglich wieder auf die andere Seite jenes Gebirges schicken zu müssen, fiel Harry nicht leicht.
«Also gut, Doktor Molavi. Ich habe folgende Frage an Sie.» Harry beugte sich zu dem jungen Mann hinüber. «Angenommen, jemand käme auf die Idee, dass die Ergebnisse aus Ihrem Labor nicht verlässlich sind. Gäbe es dann noch eine andere Möglichkeit? Ein anderes Labor vielleicht, wo man ähnliche Tests durchführen könnte?»
«O ja, ich denke schon. Das ist eines der Grundprinzipien des Programms.
Robust and redundant
. Man sagt das immer auf Englisch, weil es auf Farsi keinen guten Ausdruck dafür gibt.»
«Und wo würden solche Kontrollforschungen durchgeführt, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass die Bemühungen bei Tohid nicht zum Erfolg führen? Wissen Sie das?»
«Auf meinem Gebiet, der Neutronenforschung? Vermutlich in Maschhad. Dort arbeitet man parallel zu uns.»
«Woher wissen Sie das? Waren Sie schon mal dort?»
«Aber ja, natürlich. Damals, 2003, als das Atomprogramm noch offiziell lief, wurde ich für zwei Monate dorthin geschickt. Ich habe dort einen Vetter zweiten Grades, mütterlicherseits, bei ihm habe ich gewohnt. Aber dann wurde beschlossen, dass die Forschungen hauptsächlich bei Tohiddurchgeführt werden sollen und Maschhad nur als Reserveeinheit erhalten bleibt. Aber dorthin würde man sich im Notfall wenden. Sie haben die nötige Ausrüstung, alles vorhanden. Es handelt sich um das Forschungszentrum Ardabil.»
«Und man vertraut dieser Einrichtung in Maschhad? Man hat nicht den Verdacht, dass sie von uns unterlaufen oder manipuliert sein könnte?»
«Aber nein. Warum denn auch? Sie ist streng geheim. Nur wenige von uns waren überhaupt jemals dort. Mein bester Freund aus der Schule arbeitet inzwischen da.»
«Ihr bester Freund?» Harry gab sich Mühe, seine Begeisterung zu zügeln, was ihm jedoch nicht ganz gelang. «Ihr bester Freund aus der Schule arbeitet in dem geheimen Neutronenforschungszentrum in Maschhad? Sie haben dort also jemanden, der Ihnen einen Gefallen tun würde, wenn Sie ihn darum bäten. Richtig?»
«Ja, selbstverständlich. Er heißt Reza. Und er hat auch nicht viel für die da oben übrig. Das geht im Grunde allen so.»
«Heiliges Kanonenrohr.» Harry schüttelte den Kopf.
«Wie bitte, Sir?»
«Nicht weiter wichtig», sagte Harry. «Machen wir eine kurze Pause. Ich muss nachdenken.»
Als er aus dem Zimmer ging, verspürte Harry eine Aufregung, die er sich selbst kaum erklären konnte. Es war wie ein Puzzle, das sich unversehens zusammensetzte: All die vielen losen Teilchen schienen sich plötzlich wie von selbst zusammenzufügen und ergaben etwas, das sich noch nicht recht in Worte fassen ließ, aber doch große Ähnlichkeit mit einer Idee hatte, vielleicht sogar mit einem Plan. Dochum den in die Tat umzusetzen, brauchte er so schnell wie möglich Hilfe – und zwar von jemandem, dem er nicht mehr hundertprozentig vertraute.
30 Aschgabat/Turkmenistan
Nach längerem Suchen stöberte Harry Adrian Winkler schließlich auf. Er schlenderte mit Jackie durch den Garten hinter der Villa und flüsterte ihr gerade etwas ins Ohr, worauf sie ihm einen spielerischen Klaps auf den Hintern gab. Adrians Gesicht war gerötet, und Harry konnte nur hoffen, dass das am Sex lag und nicht am Alkohol. Als er näher kam, löste Jackie sich ein wenig von ihrem Chef, doch jede ihrer Gesten und Bewegungen verriet, dass sie ihn vollkommen in der Hand hatte.
«Wie geht’s, wie steht’s, alter Knabe? Nun sag schon: Ist der junge Herr Doktor aus dem Iran die Erfüllung all unserer Träume? War er die ganzen Mühen wert?»
«Spar dir den ‹alten Knaben› und das ganze Gesülze», herrschte Harry ihn an. «Wir müssen reden, und zwar gleich. Sag Miss Moneypenny, sie soll sich verziehen. Aber zackig!»
Adrian zuckte die Achseln, drehte sich kurz zu Jackie um, zwinkerte ihr zu und folgte Harry dann zum Haus. Ihm war anscheinend wirklich alles egal. Verblendet, wie er war, interessierte es ihn nicht einmal mehr, ob sein Freund Harry mitbekam, dass er sich mit einer Frau, bei der es sich offiziell um eine Untergebene handelte, um den Verstand vögelte.
«Sag einfach gar nichts, Harry, das wäre doch nur abgeschmackt.Und unnötig noch dazu. Wir haben alle unsere Schwächen, du warst bisher nur noch nicht
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