Der Einsatz
nicht.
«Wir suchen nach jemandem», sagte der Engländer. Er war vielleicht Anfang dreißig, nicht älter als Azadi selbst. Sein Persisch war gut – darauf schienen die Briten zu achten. Es sah fast so aus, als würden alle Orientalistikstudenten aus Oxford und London zum Geheimdienst gehen. War das das Geheimnis der Briten?
«Wen suchen Sie?», fragte Azadi. «Können Sie mir einen Namen nennen?»
«Nein», erwiderte der Engländer. «Aber die Person, die wir meinen, wird möglicherweise nach Ihnen suchen. Daran werden Sie ihn – oder sie – erkennen.»
Azadi war ebenso verwirrt wie besorgt. «Warum sollte jemand nach mir suchen?», fragte er unsicher. «Weiß derjenige denn, wer ich bin?»
«Nein, das weiß er nicht. Keine Sorge. Aber er interessiert sich für Ihr wissenschaftliches Fachgebiet. Er wird nach Röntgenstrahlen in der Atomphysik fragen, daran werden Sie ihn erkennen. Es ist gut möglich, dass die Person, die wir suchen, in Teheran in der Nuklearforschung arbeitet. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Wissenschaftler wie Sie. Wenn Sie von so einer Anfrage erfahren, möchte ich, dass Sie sich den Namen merken und ihn mir so schnell wie möglich zukommen lassen. Und dann möchte ich, dass Sie ihn sofort wieder vergessen.»
Azadi nickte. Jetzt bekam er es erst wirklich mit der Angst zu tun. Wenn diese Person im TNRC arbeitete, dann steckte er gerade den Kopf ins Maul des Löwen. An diesem Ort kannte keiner den anderen.
Der Engländer hatte noch ein paar weitere Anliegen. Er wollte wissen, ob ausländische Wissenschaftler das Labor an der Teheraner Universität besucht hatten, in dem Azadi arbeitete. Oder ob es neue Materiallieferungen aus dem Westen oder neue Bestellungen von Laborbedarf gegeben habe. Aber das fragten sie immer. Fast konnte man meinen, die Briten seien im Laborgerätehandel tätig, weil sie sich immer so sehr dafür interessierten. Die Engländer hatten einfach überall ihre Finger drin. Aus diesem Grund wurden sie zugleich gefürchtet und heimlich geliebt. Sie waren die Marionettenspieler, sie zogen die Fäden. Und wie könnte eine Marionette den Marionettenspieler nicht lieben?
Der Engländer sagte Azadi noch einmal, wann das nächste Treffen stattfinden würde, dann verabschiedeten sie sich, und Azadi trat wieder hinaus in die schützende Betriebsamkeit der Stadt.
Eine Woche verging. Regen kam, wie fast immer zu dieser Jahreszeit, und wusch den Smog weg, der über Teheran hing. Azadi versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, war aber ständig nervös. An dem Tag, als der Regen aufhörte, verließ er schon früh sein Labor und fuhr nach Darband im Norden der Stadt, um dort in den Bergen zu wandern. Er hatte den Ausdruck einer offiziellen Nachricht dabei, die er über das Internet erhalten hatte, und wolltesie nicht im Labor lesen, wo andere ihn dabei beobachten konnten.
Die Fahrt nach Darband dauerte lange und führte auf steilen Straßen am alten Palast des Schahs vorbei. Das Taxi brachte Azadi zu einem Parkplatz unterhalb des Gipfels, wo die Wanderwege begannen. Man musste eine Stunde laufen, bis man den Saftverkäufern und Touristenmassen entkommen war und sich wirklich von der Enge der Stadt befreit fühlte. Hier oben auf dem Berg lockerten die Frauen ihre Schals und zeigten ihr Haar, und wenn sie jung und wagemutig waren, zogen sie in einem Gebüsch neben dem Weg auch ihren Büstenhalter aus, damit ihr Freund unter dem Mantel ihre Brüste berühren konnte. Unter dem Stoff die weiche Blässe eines weiblichen Busens zu küssen, das war der Gipfel der Freiheit. Früher hatte auch Azadi einige seiner etwas abenteuerlustigeren Freundinnen hierhergebracht. Damals war er ein Spion der Liebe gewesen, der alles für die Berührung nackten Fleisches riskiert hatte. War das ein ähnlicher Reiz gewesen wie der, den er bei seinen geheimen Treffen mit Simon Hughes verspürte? War das der Grund, warum er es tat? Es gab schließlich auch ungefährlichere Wege, ein geheimes Leben zu führen.
Azadi kletterte so lange auf dem steilen Pfad nach oben, bis er ganz sicher sein konnte, dass er allein war. Er drehte sich um und blickte den Hang hinab. Unter ihm erstreckte sich ein riesiges Häusermeer, und hinter jeder Tür verbargen sich Menschen mit ihren Träumen und ihren Lügen. Wie konnte er da anders sein? Lügen waren der Nährboden, auf dem diese Stadt gedieh, ein jeder ihrer Einwohner hatte etwas zu verbergen. Er war umgeben von Millionen Lügnern.Das war sein bester
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