Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
denn im Spülbecken stand Geschirr, ungespült. Einen weiteren Vorwurf anzubringen schien ihm überzogen, also tat er, als hätte er nichts gemerkt. Als er dann jedoch die Laufschuhe in ihrem Karton auf dem Tisch sah, eine mehr als deutliche Provokation, klopfte er an seine Zimmertür. Keine Antwort. Er öffnete, doch Guillermo gab sich ungerührt: Kopfhörer auf, Computer an. Héctor musste sich, und sein Therapeut hätte ihn dafür gelobt, schwer am Riemen reißen, um nicht alles abzuschalten, damit der Junge ihm ein Minimum an Aufmerksamkeit schenkte.
Dann führten sie ein Gespräch, das er, mit Abstand betrachtet, besser vermieden hätte. Letztlich war es egal, in welcher Form und über was sie sprachen, als Ergebnis forderte ihn Guillermo jedenfalls auf, sein Zimmer zu verlassen – »Würde es dir etwas ausmachen, mich in Ruhe zu lassen?« –, worauf er einen Satz sagte, wie er für Steinzeiteltern typisch war, noch dazu mit seinem argentinischen Akzent, der nur noch hervorbrach, wenn er sauer war. Nie hätte er gedacht, dass er ihn einmal aussprechen würde. Zu allem Überfluss stand, als sie sich gerade in ihren Phrasen ergingen, ein jeder in seiner Rolle, Carmen vor der Tür.
Die Vermieterin schien nicht zu bemerken, dass sie in einen Vater-Sohn-Konflikt platzte. Sie war aufgeregt, nervös. Ein Zustand, der für Héctor nur eines bedeuten konnte. Und tatsächlich: Carmens Sohn Carlos, für alle nur Charly, hatte sie nach zwei Jahren ohne Lebenszeichen am Abend angerufen. Jede verirrte Kugel findet am Ende ihr Loch, dachte Héctor. Und Charly war ein Langstreckengeschoss, das am Ende immer böse einschlug. Aber eine Mutter ist eine Mutter, und auch wenn Carmen nicht dumm war und ihren Sohnemann kannte, war sie überglücklich. Charly würde am Freitag kommen und eine Zeitlang bleiben. Klar, dass er keine Arbeit hatte, auch nicht viel Geld. Die Krise begünstigte die Rückkehr der verlorenen Söhne um die dreißig.
Als Carmen gegangen war, schien es ihm absurd, mit Guillermo noch weiter zu diskutieren, so dass er ein wenig aß, ein bisschen fernsah und schließlich, das Notebook unterm Arm, auf die Dachterrasse ging. Nichts war, wie es sein sollte, sagte er sich: nicht die Kinder, nicht die Eltern, nicht diese Winternacht.
Da an Schlaf ohnehin nicht zu denken war, machte er den Rechner an und recherchierte. Ein wenig lächerlich war es schon, denn alle Informationen konnte er am nächsten Tag von Roger Fort bekommen, doch er wollte etwas tun, und der Name Alemany Kosmetik hallte immer noch in seinem Kopf. Er hatte keine Lust, sich jetzt die Firmengeschichte durchzulesen, und klickte einfach das Image-Video an, ein ziemlich hochwertig produziertes Filmchen zu den Leitbildern des Unternehmens: Jugend, Freiheit, ganzheitliche Schönheit …
Das Video versammelte kurze Interviews mit verschiedenen Mitarbeitern, unter denen er einige von dem Gruppenfoto wiedererkannte. Weder Sara noch der andere Selbstmörder, Gaspar Ródenas, waren dabei, dafür Víctor Alemany, klar, und seine Schwester Sílvia. Mit der Kopie des Fotos in der Hand identifizierte er beim zweiten Abspielen auch Brais Arjona, Brand Manager und verantwortlich für die Linie Young, und Amanda Bonet, eine bildhübsche junge Frau, die dem Untertitel zufolge für ebendiese Pflegeserie das Design entworfen hatte. Blieben drei Personen ohne Namen, drei Männer, die auf dem Foto, nicht aber im Video erschienen und die wohl zu anderen Abteilungen gehörten. Nein, einer tauchte auf: Manel Caballero, stellvertretender technischer Leiter. Er war fast nicht zu erkennen, aber erwar es, dieser junge Mann mit dem längeren Haar, der im Video etwas spröde von »Innovation« sprach. Ganz anders als der redegewandte Brais Arjona, ein Typ mit einem beneidenswert selbstsicheren Auftreten. Im Filmjargon gesprochen: Die Kamera liebte ihn. Wenn auch nicht so sehr wie Amanda Bonet. Zweifellos war sie eine der schönsten Frauen, die Héctor je gesehen hatte, und sie sprach langsam, deutlich und völlig ungeziert.
Dann gab er einen weiteren Suchbegriff ein, »Gaspar Ródenas«. Viele Treffer waren es nicht, die Presse war vorsichtig, wenn es ums Nennen von Namen ging. Aber egal, am nächsten Tag bekäme er den offiziellen Bericht. Er wollte gerade aufhören – wer mochte schon um diese Uhrzeit Geschichten von Vätern lesen, die ihre kaum einjährigen Töchter töten –, als ihm ein Artikel ins Auge sprang: »Eine ganz normale Familie«. Die große Überraschung aber
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