Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
etwas wie ein toxisches Papier. Wenn dann nochder Name des Unternehmens verbunden war mit Begriffen wie Schönheit, Wohlbefinden und Gesundheit, nahm der Spott surrealistische Züge an.
Um fünf Uhr, kurz bevor César und Arjona zu Octavi fahren sollten, beschloss Sílvia den Rechner auszumachen und sich zu konzentrieren. Was, wie es schien, unmöglich war, denn kaum zehn Minuten später stand ihr Bruder im Büro, ganz anders als noch am Morgen. Da kam er mit einem Exemplar ebendieser Zeitung hereingepoltert, als wären sie und die gesamte Belegschaft ein Haufen ungehorsamer Welpen und er ein zu recht wütendes Herrchen.
»Wie geht’s?«, fragte er.
»Könnte schlimmer sein. Zumindest spricht niemand von den Produkten, nur abstrakt vom Unternehmen.«
Er stimmte zu.
»Die Leute kaufen unsere Cremes nach dem Produktnamen, nicht nach der Firma.«
»Das hast du deinen Käufern so gesagt, ja?« Sie konnte sich den Sarkasmus nicht verkneifen.
Víctor seufzte.
»So ungefähr … Sílvia, das muss so bald wie möglich aufhören.«
»Und was soll ich tun? Denen einen Bonus anbieten, die versprechen, sich nicht vom Balkon zu stürzen?«
Er nahm vor ihrem Schreibtisch Platz.
»Lenk nicht vom Thema ab, Sílvia. Gibt es etwas, was ich über dieses Wochenende wissen muss?«
»Was du wissen musst?« Sie schüttelte den Kopf, ob vor Erschöpfung oder aus Verachtung. »Es gibt nur eine Sache, die du wissen musst … Ich würde nie etwas tun, was unser Unternehmen in Gefahr bringt. Niemals. Und das sollte dir klar sein, ohne dass du mich fragst. Nur du scheinst nichts mit der Firma anfangen zu können, wenn du bereit bist, sie an den Meistbietenden zu verkaufen.«
»Du bist genau wie unser Vater«, sagte er, und aus seinem Ton klang das Echo der traurigen Wahrheiten. »Die Firma ist nur ein Ding, Sílvia. Du kannst es lieben, aber es wird diese Liebe niemals erwidern. Sich damit zu begnügen ist lächerlich.«
»Ich weiß. Und ich bin sicher, dass Paula deine Liebe mehr als erwidert.«
»Lass Paula aus dem Spiel, sie hat nichts damit zu tun.«
»Ach, nicht?« Sílvia wollte schon eine fiese Bemerkung machen, biss sich aber auf die Zunge. »Ich sage dir eins, Víctor: Das Unternehmen ist kein Ding. Es ist etwas Lebendiges, mit Menschen, Projekten, Hoffnungen, Ideen … Und natürlich gibt es dir zurück, was du investierst. Sehr viel mehr als eine Person.«
Víctor schaute sie an, als wollte er sie verstehen, als könnte er für einen Augenblick in ihren Körper und ihren Geist eindringen, fühlen und denken wie sie. So ähnlich war es gewesen, als sie noch Kinder waren, es gab ein starkes Band zwischen ihnen, und damals schien es, als könnte es niemals zerreißen. Jetzt aber war die Entfernung, die sie voneinander trennte, so groß, dass er sich nicht in der Lage fühlte, sie zu überwinden.
»Ich weiß nicht, seit wann du die Arbeit für das Leben hältst. Das ist ein Geschäft, weiter nichts. Uns stehen schwierige Zeiten bevor, das wissen wir beide. Es ist sehr viel vernünftiger, jetzt zu einem guten Preis zu verkaufen, als auszuharren, bis der Orkan kommt. Und er wird kommen, glaub mir.«
»Er wird kommen. Ja. Aber mach mir nichts vor, Víctor. Du willst nicht aus Vorsicht verkaufen oder aus Angst vor der Zukunft. Du tust es aus Langeweile, in einem Anfall von Alterspubertät. Weil du Lust hast, jetzt zu tun, wozu du mit achtzehn nicht den Mumm hattest. Aber glaub mir, Víctor, Jugend ist nicht ansteckend. Da kannst du noch so oft mitihr ins Bett gehen. Sie überträgt sich nicht, und man kann sie auch nicht zweimal leben.«
Das Gespräch war an den Rand des Abgrunds gelangt, an diesen Punkt, wo die Haltungen so unversöhnlich sind, dass weiterzusprechen nur Wunden schlägt. Víctor wusste es, und so stand er auf und ging zur Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um.
»Wenigstens habe ich für dich gesorgt. Du wirst deinen Posten und deine Zuständigkeiten behalten. Als du damals gegangen bist, hast du nicht zurückgeschaut. Hast nicht eine Sekunde daran gedacht, was es für mich bedeutet …«
Sie wollte sich schon verteidigen, wollte ihm sagen, dass sie erst siebzehn war, er hätte ja dasselbe tun können, es sei nicht ihre Schuld, wenn er sich für den Gehorsam entschied, und sie bedaure es – ja, sie hatte es immer bedauert –, dass sie ihn in einem feindseligen Haus zurückließ, unter der Knute eines kalten und fordernden Vaters, aber ein weiteres Mal obsiegte der Stolz.
»Na ja,
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