Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Fahrrädern zwischen den Gebäuden unterwegs sind? Diesmal: nirgends. Aber andere: mutmaßlich Personal, Patienten, Patientenangehörige, Studenten. Durch ein Fenster in einem Erdgeschoss konnte man eine junge Frau mit langen, braunen Haaren sehen, die vor einem - für Kopp und die Seinen: steinzeitlichen - Computer saß. Hinter ihr an der Wand hing ein weißer Kittel.
Mein Herz bricht, sagte Juri. Wie komm ich dahin?
Man lachte ein bisschen.
Ganz leicht, sagte Rolf. Jeder kann ein und aus gehen, wie er will, offene Wunden, Telefonkartendiebe, Babyentführer. Die Leute gehen auf dem Klinikgelände mit ihren Hunden Gassi. Kein Witz. Neulich übte einer mit seinem Dackel »Sitz!«. Der Hund hatte ein neongrün leuchtendes Halsband um.
Lachen. Kann ein Dackel überhaupt Sitz! machen oder ist sein Oberkörper zu lang?
Man hört ja die S-Bahn bis hierher! Die Sirenen auch?
So nah dran betätigen sie keine Sirenen mehr. Käme wohl nicht so gut an.
Muck rief aus dem Wohnzimmer heraus, er habe einmal unmittelbar neben einer Feuerwache gewohnt. Die sind sirenend vom Hof gefahren.
Gerade, als sie genug vom Balkon hatten, klingelte es an der Tür. Ah, das Fleisch ist da! Zwei Männer trugen es herein, ihnen folgte eine Frau. Die Gäste rechneten mit kalten Platten, evtl. einer Schüssel Buletten. Stattdessen:
Voilà: Spanferkel mit Sauerkraut.
Die Männer legten das Ferkel auf den marmornen Sofatisch, unter ihm gerüschtes Papier, die Frau fand für den Topf mit dem Sauerkraut keinen Platz, es half ihr auch keiner, man lachte zu sehr. Spanferkel gerüscht, auf Sofatisch, in schwarzer Ledersitzecke. Juri behauptete, auf der Stelle zu sterben.
Schließlich nahm Muck der Frau den Sauerkrauttopf ab und sie ging, mitsamt den Männern. Keiner der drei hatte auch nur gelächelt.
Rolf brachte die Lieferanten zur Tür, Muck den Topf in die Küche, die anderen tanzten um das Ferkel herum, bewunderten es von allen Enden.
Wie viel Kilo hat das? 20?
Ich habe für 15 bezahlt. Rolf im Zurückrollen.
Und wie viel davon sind Knochen?
Kopp macht sich schon Sorgen!
Aber wer soll es aufschneiden? Wieso geht man davon aus, dass Kopp das Tranchieren beherrscht?
Ganz einfach, weil du ein Vielfraß bist.
Schließlich war Muck derjenige, welcher.
Was bist du noch mal von Beruf?
Anstreicher.
Nein, Funkmechaniker.
Kopp auch.
Trotzdem kann er nicht tranchieren.
Nein. Er nagt es lieber ab.
Wiehern.
Die nächste halbe Stunde handelte von nichts anderem als von Essen und Trinken. Spanferkelfleisch, Kartoffelsalat, Bier, und wieder Fleisch, ein Berg Fleisch, außen knusprig, innen weich, der Kartoffelsalat wird zu wenig sein, wen kümmert’s, in der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot, und wenn es nicht die Not ist, sondern das Gegenteil, dann umso besser. Für eine halbe Stunde war Darius Kopp uneingeschränkt zufrieden. Zufrieden, froh und dankbar war er, hier zu sein, zu tun, was er tat (essen, trinken) im Kreise seiner Freunde, ja, das sind meine Freunde, ich betrachte sie vertrauensvoll, jeden einzelnen: Rolf (ja), Muck (ja), Potthoff (ja), Juri (ja), Halldor (ja). Er fing mit vollem Mund (Und sein Kinn! Schon wieder vor Fett glänzend!) zu trällern an: Es könnte schlimmer sein, es könnte schlimmer sein, es könnte viel, viel, viel, viel schlimmer sein! Und wieder lachten alle.
Nachdem die erste Gier gestillt war, wurde Potthoff zu Afrika gefragt. Er erzählte.
Zunächst von der wilden Schönheit Afrikas. Der roten, der braunen, der gelben und der schwarzen Erde. Von mannshohen Termitenhügeln, Zuckerrohr und Papayabäumen. Bananenstauden, die hinter den Plumpsklos am besten gedeihen. Und die Affenbrotbäume! Wie majestätisch, wenn sie einsam in der Savanne stehen und wie … ich weiß kein Wort dafür … wenn mitten in der Stadt auf einem sonst leeren Platz, und am
Stamm eine Tafel: Urinieren verboten! Und wonach riecht es selbstverständlich? - Lachen. - Er erzählte viel von Fahrzeugen, von Kleinbussen, Mofas und Autos mit fehlender Beleuchtung. Nachts betätigen sie stattdessen die Warnblinker. - Man stellt sich auch das vor: den nächtlichen Stadtverkehr, mit Warnblinkern statt mit Scheinwerfern, und lacht. - Wenn du aus der Stadt rausfährst, siehst du’s aber erst richtig. Nach 15 Jahren Bürgerkrieg. Das ganze Land ratzekahl. Den Urwald abgeholzt, damit sich die Rebellen nicht darin verstecken konnten. Die Elefanten abgeschlachtet, um das Elfenbein gegen Waffen zu tauschen. Armeen von Waisenkindern:
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