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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Anfang jeder gedacht hatte, das dann aber irgendwie durch die polizeilichen Routinefragen verdrängt worden war; durch Fragen wie die, wer die Angehörigen benachrichtigen sollte, wann die Männer des Erkennungsdienstes aus Luleå kommen konnten, ein wie großer Teil des Tatorts abgesperrt werden müsse, und alles andere. Zu Anfang hatte jeder daran gedacht. Später war es dann zu einem bloßen Detail unter vielen geworden.
    Der Fernlaster war in der falschen Richtung geparkt gewesen, als wäre er von Luleå gekommen und nicht von der weniger als zwei Kilometer entfernten finnischen Grenze. Was nach den Aussagen der Zollbeamten jedoch nachweislich der Fall war. Exakt zwei Stunden und drei Minuten, nachdem Lasse Holma seinen Scania-Laster über den Grenzfluß gelenkt hatte und in Richtung Haparanda gefahren war, war der Laster hier gefunden worden. So geparkt, als wäre er aus der anderen Richtung gekommen.
    Eino Niemi lächelte still vor sich hin, als wollte er sich selbst aufmuntern oder auf die Schulter klopfen, da sonst niemand da war, der es hätte tun können. Diese einfache Tatsache mußte doch etwas zu bedeuten haben, sie mußte wichtig sein.
    Er blickte in Richtung des Kreisverkehrs, der genau 1,1 Kilometer entfernt war: Hier kommt Lasse also in seinem Scania, dachte er. Er wird bald sterben, aber das weiß er natürlich nicht. Der plötzliche Kindstod tritt schnell ein und kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Vielleicht ist Lasse auch übel, vielleicht fühlt er sich krank, weil er sich übergeben muß. Tatsächlich übergibt er sich genau an dieser Stelle zu Tode. Und genau hier hat er auf seiner achthundertzwanzig Kilometer langen Reise noch 3,6 Kilometer zum Ziel. Er fühlt sich hundeelend. Was tut er? Er wendet den Fernlaster irgendwo, um ihn hier sozusagen in der falschen Fahrtrichtung zu parken, und anschließend stirbt er auf dem Fahrersitz. Den Teufel auch!
    Jetzt aber ran an die Buletten, dachte er, als er zu seinem Wagen zurückging, um endlich ein Experiment durchzuführen, das vielleicht einige Bedeutung hatte, zumindest für ein gewisses Telefongespräch.
    Wieder fuhr er so, als säße er in einem großen Scania und nicht in einem kleinen PKW, und mußte zunächst an der Stelle vorbei, an der er in der anderen Richtung parken sollte. Draußen auf der E 4 gab es keinerlei Möglichkeit, den Scania-Laster zu wenden.
    Fünf Minuten später stand es fest. Die Fahrstrecke, die nötig war, um zu wenden und an den gleichen Ort zurückzukehren, wenn auch in entgegengesetzter Richtung, war bis auf ein paar hundert Meter genauso lang wie die Entfernung zum Reiseziel bei NORRFRYS.
    Lasse Holma hätte an einem gewöhnlichen Arbeitstag zur üblichen Bürozeit ankommen sollen. Wenn ihm übel gewesen wäre, hätte er mit Sicherheit nicht angehalten, um mit schweren Krämpfen oder Schmerzen auf einem Parkplatz zu sterben. Er hätte vermutlich versucht, bis zum Ziel zu fahren, zur Telefonistin am Empfang zu taumeln und sie um Hilfe zu bitten. Als er jetzt erneut am Tatort vorbeifuhr, notierte Eino Niemi die Fahrtroute und setzte den Weg zum Polizeigebäude fort. Jetzt konnte er diesen Professor anrufen; dabei hatte er durchaus nicht mehr begriffen, als irgendwelche Kollegen begriffen hätten. Sie wußten genausowenig wie er über glatte Schleimhäute und Blutergüsse von 0,2 Zentimeter Durchmesser. Ein Professor sollte allerdings in einer Hinsicht wie andere Menschen sein: normal und vernünftig.
    Lasse Holma hatte von seinem bevorstehenden Tod keine Ahnung gehabt. Vermutlich hatte er, nein, nicht einmal vermutlich – er hatte sich mit Sicherheit nicht einmal schlecht gefühlt, als er das komplizierte Manöver durchführte. Er mußte wenden, zurücksetzen und seine schwere Last zurückfahren. Er war also ermordet worden. Kindstod hin, Kindstod her, er war ermordet worden.
    Die Telefonistin des Krankenhauses in Umeå weigerte sich zunächst entschieden, die private Telefonnummer eines Chefarzts zu nennen, »denn an solchen Feiertagen rufen immer so viele komische Leute an«.
    Sie sprach mit einem südschwedischen Tonfall und hörte sich wie eine Behördenvertreterin an, obwohl sie es nicht war. Eino Niemi fiel es ein paar Augenblicke lang ziemlich schwer, seine Wut zu beherrschen, er erkannte aber schnell, daß er sich hier ein paar Dinge verkneifen mußte. Wenn er auch nur ein Zehntel von dem gesagt hätte, was er zunächst sagen wollte, hätte das seine Aussichten, die Telefonnummer zu erhalten, nicht

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