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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Haupteingang hinunter, öffnete die Tür, schaltete das Licht beim Empfang ein und eilte dann zu seinem Zimmer. Er zog sich den Mantel aus, wischte sich die Brille ab und schüttelte den letzten Rest von Unbehagen darüber ab, daß er die Familie schon am Abend des Weihnachtstages verlassen hatte.
    Es geht schließlich nicht nur darum, die Rehjagd unten in Sörmland zu retten, redete er sich ein. Dieser hartnäckige nordschwedische Polizeibeamte hatte in seinem lustigen, unsicheren Dialekt etwas gesagt, was zugleich besorgniserregend und wissenschaftlich anregend war. Der tote Lastwagenfahrer war zunächst weder interessanter noch uninteressanter gewesen als andere denkbare Verbrechensopfer. Jetzt aber war es höchst interessant, daß es überhaupt kein äußeres Anzeichen für ein Verbrechen zu geben schien, während zugleich das, was dieser Kriminalinspektor erzählt hatte, unleugbar voll ausreichte, um selbst einen in polizeilicher Logik höchst unbedarften Mann Unrat wittern zu lassen. Er hatte also etwas Wesentliches übersehen. Alles deutete darauf hin, daß der Mann ermordet worden war.
    Anders Eriksson ging leise vor sich hin pfeifend durch die Räume und machte überall Licht, bis er den Umkleideraum erreichte. Dort zog er sich Schutzkleidung an und ging dann weiter in den einer Garage ähnelnden Lagerraum mit den Kühlfächern. Er las eine Zeitlang die Schilder und zog einen Wagen heraus. Er hatte danebengegriffen, denn er hatte eine ältere Dame erwischt. Das nächste Kühlfach enthielt das richtige Objekt, und er brachte es in den Obduktionssaal zu einem der beiden rostfreien Tische, die sich heben und senken ließen.
    Als er das betrachtete, was einmal der Lastwagenfahrer Holma gewesen war, verfiel er in ein kurzes Grübeln; er sah in toten Menschen nie etwas anderes als einen Anzug, der einmal zu einem Menschen gehört hatte. Sein Job bestand darin, diesen Anzug zu untersuchen. Holma war ein recht kräftiger Mann gewesen, Gewicht um die neunzig Kilo, wenn er sich recht erinnerte. Gut entwickelte Muskulatur, normales Unterhautfett, ein paar seit langem verheilte Wunden von Prügeleien. Anders Eriksson vermutete zumindest, daß Holma die Verletzungen bei Schlägereien davongetragen hatte.
    Er machte noch mehr Licht und musterte den gekühlten, aber nicht mehr leichenstarren Körper. Nein, sein erster Eindruck von damals war richtig. Nirgends auch nur eine Spur von Gewaltanwendung kurz vor dem Tod.
    Der Leichnam war mit groben Stichen aus Segelgarn zugenäht worden. Anders Eriksson konnte genausogut in dem großen Schnitt anfangen, der schon gemacht worden war. Er schnitt die Verschnürung auf und zog sie heraus. Dann holte er ein geeignetes Skalpell mit breiter Schneide und gerundeter Spitze, schüttelte den Kopf und lächelte über sich selbst, während er den Leichnam zu häuten begann.
    Einige seiner Jagdkameraden hatten die bedauerliche Angewohnheit, ihn damit aufzuziehen, daß er Gerichtsmediziner war. Das hing mit einem angeblichen Mord in Stockholm vor ein paar Jahren zusammen. Eine Frau war dabei zerstückelt worden. Der Fall hatte eine gelinde gesagt umfassende Publizität erhalten, da zwei Ärzte, von denen der eine ein Pathologe war, angeklagt worden waren, die Prostituierte ermordet und zerstückelt zu haben. Die beiden waren zwar freigesprochen worden, jedenfalls vom Gericht. Trotzdem »wußte« jeder, daß die beiden schuldig waren. Seine Jägerfreunde pflegten folglich, ohne der Sache je überdrüssig zu werden, immer wieder zu witzeln, das kannst du doch erledigen, du verstehst dich doch aufs Zerstückeln.
    Er hatte jedesmal die gleiche Antwort gegeben. Nein, wir Pathologen zerstückeln keine Menschen, davon verstehen wir nicht mehr als gewöhnliche Jäger. Aber aufs Ausnehmen verstehe ich mich schon ganz gut.
    Er hob die inneren Organe heraus und legte sie auf den Nebentisch, damit nichts unnötig schwappte, wenn er den Leichnam umdrehte.
    Ein Jagdmesser wäre besser, dachte er bei der Arbeit. Andererseits bekommt man solche Dinge schließlich nicht oft zu tun, und außerdem würde ein Jagdmesser inmitten des übrigen Sortiments anstößig aussehen.
    Er arbeitete nach etwa dem gleichen Schema, als hätte er ein totes Reh auf dem Tisch, schnitt aber um die »Klauen« herum, also um Hände und Füße, die als Angriffsflächen nicht sonderlich wahrscheinlich waren. Als er den Leichnam umdrehte, ging es leichter, denn an Rücken und Gesäßmuskulatur saß die Haut nicht so fest wie auf der

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