Der einzige Sieg
anderes, was bei diesen schwedischen Männern zählte. Für ihn war es vollkommen logisch, daß sie einen Job als juristische Übersetzerin bei IBM hatte, selbst wenn sie in einem Monat weniger Geld verdiente, als er manchmal in einem ausgelassenen Augenblick für französische Weine ausgab, die er seinen Gästen vorsetzte. Es war nicht das Geld, es war etwas anderes, was vielleicht mit diesem bizarren Charakterzug zu tun hatte, in der Touristenklasse inmitten schreiender Kinder fliegen zu wollen.
Noch wichtiger war natürlich, daß sie irgendwie zu dem politischen Engagement zurückfand, dem sie sich früher einmal gewidmet hatte. Es stand völlig außer Frage, daß er es ernst meinte, und sie schämte sich ihrer Überlegungen, ob es »einer Lady Hamilton« irgendwie gut zu Gesicht stünde, sich beispielsweise mit »Kanakenfragen« zu beschäftigen. Ein solcher Gedanke würde ihm nicht einmal ansatzweise kommen. Das war sehr schwedisch, und das war wohl der Kern.
Als die Maschine das offene Meer erreichte, wurde die Vorspeise serviert, kleine Canapés mit russischem Kaviar und Gänseleber. Er brummelte etwas von einer spießigen Kombination, und wie schwer es sei, einen guten Wein zu wählen, und konnte sich unter den verschiedenen angebotenen Möglichkeiten nicht entscheiden.
Sie starrte eine Weile auf den russischen Kaviar und sah plötzlich eine unerwartete Chance, gleichsam zufällig das Thema zur Sprache zu bringen, das sie ohnehin bei der ersten sich bietenden Gelegenheit hatte anschneiden wollen.
»Weißt du, der Alte hat eine lustige Sache gesagt… heißt es lustig?« begann sie zögernd.
»Lustig? Du meinst funny , peculiar , awkward , aber nicht witzig , also fun , hilarious oder so? Ja, der Alte hat etwas Lustiges gesagt?«
»Woher hast du gewußt, was ich meinte?«
»An deinem zögernden Tonfall. Nun, was hat der Alte Lustiges gesagt?«
»Ja, daß von Rußland nur drei Exportgüter kommen könnten, drei Dinge von Wert. Russischer Kaviar, Touristensouvenirs und siebenundzwanzigtausend Kernwaffen… Atomsprengköpfe.«
Er schwieg und kaute auf einem Canapé herum. Sie hatte den Eindruck, als hätte ihre Bemerkung ihn getroffen, aber dennoch war kaum eine Reaktion zu erkennen. Sie sah, daß er Theater zu spielen begann.
»Das hier ist iranischer Kaviar«, sagte er und hob sein Glas, als wäre die Diskussion damit beendet. »Lustigerweise gilt iranischer Kaviar heutzutage als besser. Er ist auf jeden Fall teurer. Ich bin aber nicht der Meinung, skål!«
Sie kaute eine Zeitlang auf dem schwarzen, faden und nach Metall schmeckenden Fischrogen herum und fragte sich, ob man tatsächlich so ohne weiteres den Unterschied zwischen russischem und iranischem Kaviar erkennen konnte. Als die Stewardeß vorbeiging, hatte sie einen Einfall.
» Excuse me! We have this argument, is this Iranian or Russian caviar ?« fragte sie mit einem strahlenden Lächeln.
» Iranian « , strahlte die Stewardeß zurück.
»Ich begreife nicht, Frau Anwältin, daß Sie immer vorauszusetzen scheinen, daß alle Menschen lügen. Muß eine Berufskrankheit sein«, gluckste er zufrieden.
Sie schwieg eine Weile. Ihr fiel das eigentümlich schwedische Sprichwort ein, daß das Essen den Mund zum Schweigen bringt. Warum sollten Schweden still sein, wenn sie aßen?
Sie beschloß, nicht weiterzubohren. Sie mußte es irgendwann nachholen, wenn sie englisch sprachen, damit sie jede Nuance dessen erfassen konnte, was er sagte.
Irgendwie schien ihre Frage ihn abgekühlt zu haben, als hätte er sich blitzschnell wie eine Muschel geschlossen. Sobald sie zu Ende gegessen hatten, faltete er die Hände über dem Bauch und schlief wie selbstverständlich ein.
Anders Eriksson parkte seinen Wagen direkt vor dem Eingang der »Grube«, wie die gerichtsmedizinische Abteilung im Krankenhaus etwas unehrerbietig genannt wurde. Sie würde im Rahmen einer dieser fortlaufenden Reformen mit einer euphemistischen Umschreibung in Gerichtsmedizinisches Institut umgetauft werden. Alle Lichter waren gelöscht. In den Fenstern waren nicht einmal elektrische Weihnachtskerzen zu sehen. Die Menschen, die dort drinnen Weihnachten feierten, waren ja tot und würden an Weihnachtskerzen ohnehin keine Freude haben. Er fand jedoch, daß es irgendwie freundlicher ausgesehen hätte. Er erschauerte leicht vor Unbehagen, als er aus dem Wagen stieg. Ein harter Wind blies, und es schneite leicht. Der Schnee ließ seine erwärmte Brille sofort beschlagen. Er ging zum
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