Der einzige Sieg
geflogen war, wie sie am Schalter angedeutet hatten.
Carl schien das Ganze jedoch mit fast ärgerlicher Ruhe aufzunehmen.
»Badewetter ist es ja sowieso nicht«, sagte er und sah amüsiert auf die Uhr. »Außerdem haben wir es nicht sonderlich eilig, und den Rasierapparat und so was hast du doch im Handgepäck, oder?«
»Was soll das heißen, Rasierapparat?« fauchte sie wütend.
»Na ja, ich meine diese kleinen Trivialitäten des Lebens, die man Toilettenartikel nennt. Bleiben Unterwäsche und ein paar Pullover, einige Blusen, vielleicht ein Badeanzug. Mit Oberbekleidung bist du ja unerwartet gut versehen«, scherzte er und zupfte vielsagend an dem finnischen Wolfspelz, den er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.
Sie brachten eine Stunde damit zu, im Flughafen Kleidung einzukaufen. Überall sahen sie amerikanische Weihnachtsmänner, die mehr oder weniger betrunken herumliefen und große Glocken läuteten, ohne damit aber unter all den gehetzten Fluggästen, die zu ihren Truthähnen unterwegs waren, erkennbare Weihnachtsfreude auszulösen. Sie kauften sogar eine neue Reisetasche, bevor sie sich zu Avis begaben und ihren Wagen holten.
»Verzeih mir«, flüsterte sie, beugte sich vor und küßte ihn, als sie sich ohne Stadtplan, aber mit guter Ortskenntnis in das große Highwaysystem um Los Angeles einfädelten.
»Wieso Verzeihung?« fragte er mit etwas, was echtes Erstaunen zu sein schien. »Du hast doch die Tasche nicht verschlampt. Das müssen doch diese aufgeregten Froschesser gewesen sein, die uns in der Ersten Klasse haben wollten, du weißt schon.«
Er zwinkerte ihr zufrieden zu.
Als sie sich auf dem Weg nach San Diego der Küste näherten, zeigte sich das Meer grau, ungastlich und zornig. Es herrschte ein ausgewachsener Sturm. Aber Tessie war eingeschlafen.
Er hatte nichts dagegen. Es war gegen vier Uhr nachmittags Ortszeit, und es herrschte dichter Verkehr. Überall Leute, die Weihnachten feiern wollten. In den Körpern von Carl und Tessie war es schon nach Mitternacht. Sie hatte in der Maschine vermutlich nicht geschlafen, und er hielt in San Diego eine Überraschung für sie bereit.
Es war ein ganz eigener Genuß, in einem amerikanisch langsamen Wagen amerikanisch langsam in einer Schlange zu fahren. Es war wie seelischer Urlaub, weit, sehr weit weg von finnischen und russischen Polarregionen, genauso, wie er es sich erhofft hatte. Es kam ihm vor, als hätte er sich mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit versetzt – er hatte ausdrücklich einen Pontiac des gleichen Modells bestellt, das er damals gefahren hatte. Und wenn er sich in eine andere Zeit zurückversetzte – Pontiac, amerikanischer Highway, bekannte alte Straßen hinunter nach San Diego, Tessie neben sich –, entstand eine angenehme Illusion. Es kam ihm vor, als bekäme er eine zweite Chance, bestimmte Perioden seines Lebens, die nicht so gelungen gewesen waren, neu zu durchleben. Oder als könnte er sich durch diese Zeitverschiebung von einem Teil seiner Schuld reinwaschen.
Er widerstand der Versuchung, eine Runde zur University of California in San Diego zu drehen, als sie sich der Stadt näherten. Er fuhr an seiner alten Uni vorbei, an seinem alten Studentenzimmer, an allem, was er dort erlebt hatte.
Dann kam La Jolla, das Villengebiet mit dem besonders schönen Strand, dem Imperial Beach, doch er fuhr langsam und entspannt weiter. Im Autoradio ertönte leise Musik des Universitätssenders. Sie spielten amerikanische Weihnachtssongs der eher klassischen und gepflegten Art.
Er fand sofort den Weg zum Hotel, dem Horton Old Grand, das nur einen kurzen Fußweg von seiner Überraschung entfernt lag. Er ließ den Wagen sanft ausrollen und weckte sie mit einem Kuß.
»Okay, Honey«, flüsterte er, »für den Rest des Tages bleibt dir Schwedisch erspart. Wir sind zu Hause.«
Sie übergaben den Wagen dem Türsteher, der sich als eine Art Lümmel aus der Zeit der Jahrhundertwende verkleidet hatte, wenn auch mit Weihnachtsmannmütze statt einer irischen Kappe; das Hotel stammte aus der Zeit der Jahrhundertwende.
Zitternd zog Tessie den Wolfspelz enger um sich, als sie ausstieg. Sie war schlaftrunken und staunte, daß sie schon da waren.
Die Hotelhalle war gespenstisch mit rosafarbenen Weihnachtsbäumen ausstaffiert, Bäumen mit lilafarbenen blinkenden Elektrokerzen, über die sie munter und ironisch mit einem Zwinkern des Wiedererkennens lächelten, als sie sich eintrugen. Zum ersten Mal wahrheitsgemäß als Mr. und Mrs.
Weitere Kostenlose Bücher