Der einzige Sieg
bei dem Gedanken, daß es zum Glück noch keine Bildtelefone gab. Sein strenger Tonfall paßte ganz und gar nicht zu seiner fröhlichen Miene.
Eino Niemi antwortete nicht. Er fuhr sich über die Stirn und sah ein, daß er sich irgendwie blamiert hatte. Am liebsten hätte er gleich wieder aufgelegt.
»Ja, ich habe recht erfreuliche Nachrichten«, fuhr der Pathologe fort und sah erneut auf die Uhr. »Ich habe nämlich ein Einstichloch gefunden.«
»Ein Einstichloch?«
»Ja. Dem Verstorbenen ist kurz vor seinem Tod etwas injiziert worden, und ich habe eine Probe sichergestellt.«
Eino Niemi bemühte sich verzweifelt, nüchtern zu werden, während er die Bedeutung dessen bedachte, was er soeben gehört hatte. Er nahm sich zusammen, um keine dummen Fragen zu stellen.
»Und was hat man dem Toten injiziert?« fragte er.
»Das nenne ich eine gute Frage. Etwas, was vermutlich zu seinem Tod geführt hat, könnte ich mir denken.«
»Sicher ist das aber nicht?«
»Nein, natürlich ist es nicht sicher. Aber angesichts der gesamten Umstände scheint es mir schon so zu sein, als hätten wir etwas gefunden, was deine Hypothese stützt. Von fremder Hand, du weißt schon.«
»Wann können wir erfahren, was gespritzt worden ist?« fragte Eino Niemi und gab sich dabei die größte Mühe, nüchtern zu wirken. Er winkte gleichzeitig seiner Frau abwehrend zu, was bedeuten sollte, daß es nichts war, was den Rest der Feiertage stören würde.
»Das kann ich nicht sagen. Wie du weißt, ist heute Weihnachten, und das dürfte es wohl auch im Gerichtschemischen Labor in Linköping sein. Wir werden das Material morgen per Boten hinschicken, und dann werden wir schon was erfahren, wenn bei denen die Feiertage vorbei sind. Die Hauptsache ist aber, daß wir eine Probe sichergestellt haben.«
»Aha«, brummelte Eino Niemi fast mißmutig. »Es kann also bis nach Weihnachten dauern, bevor wir etwas wissen?«
»Natürlich, aber dafür bleibt uns eine Exhumierung und all das erspart. Wären die Feiertage nicht gewesen, hätte der junge Fahrer schlimmstenfalls schon unter der Erde gelegen. Oder er wäre, noch schlimmer, schon verbrannt worden.«
»Finden über Weihnachten keine Beerdigungen statt?«
»Nein. Ich glaube, die Pfarrer weigern sich. Es muß was mit der Gewerkschaft zu tun haben. Für uns ist es jedenfalls ein Glück.«
»Vielleicht wollen sie niemanden beerdigen, weil das Jesuskind um diese Zeit geboren wurde?«
»Ja, es könnte etwas in der Richtung sein. Jedenfalls wünsche ich dir noch schöne Feiertage. Entschuldige bitte, aber ich muß jetzt zu meiner Familie nach Hause.«
Zu der Jagd auf Rehe, meinst du wohl, dachte Eino Niemi, als er den Hörer auflegte. Er ließ die Hand eine Weile auf dem Telefon liegen. Dann breitete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, ein fast schüchternes Lächeln. Er hatte jetzt eine ganze Reihe von Fragen auf dem Herzen. Aber die mußten bis nach den Feiertagen warten.
Als sie in Los Angeles landeten, schlief Carl immer noch. Tessie weckte ihn ungeduldig und erzählte ihm vom Wetterbericht. In der Region Los Angeles sei es stürmisch, plus vier Grad, und im Norden Kaliforniens gebe es Schneeregen.
»Merry Christmas«, brummte er und streckte sich. »Wollten wir nicht weiße Weihnachten haben, oder wie war das noch?«
Die Paßkontrolle brachten sie mit Hilfe seines Diplomatenpasses schnell hinter sich. Sie versuchten einander mit Scherzen über das schlimmste Weihnachtsfest aufzumuntern, an das sie sich in San Diego erinnern konnten. Einmal habe es sogar geschneit, berichtete Tessie, doch er weigerte sich, das zu glauben.
Ihre Tasche kam nicht. Sie warteten länger, als eigentlich notwendig war. Also mußten sie ihren amerikanischen Weihnachtsabend damit beginnen, eine halbe Stunde vor dem Air-France-Schalter anzustehen, an dem verlorenes Gepäck gemeldet werden mußte. Sie hielten sich mit sarkastischen Scherzen bei Laune, doch als schließlich sämtliche Formulare ausgefüllt waren und sie über den an und für sich gutgemeinten Wunsch nach einem frohen Weihnachtsfest gekichert hatten – frohe Weihnachten ohne Weihnachtsgeschenke und Klamotten, was?
–, brach Tessie bei dem Gedanken, daß sie nun nur die Kleider hatte, die sie gerade trug, fast in Tränen aus. Das war eine Krise. Das Weihnachts-Durcheinander ließ ahnen, daß es bis zu zwei Tagen dauern konnte, bevor die Tasche auftauchte, falls sie tatsächlich von Charles de Gaulle nach San Sebastian statt nach San Diego
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