Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Vorderseite. Schließlich konnte er das eigentliche Hautkostüm zusammenfalten und zur Seite legen. Ebensogut hätte er die Haut auch an einem Kleiderbügel aufhängen können.
    Er trat ein paar Schritte zurück und betrachtete das Objekt. Es gab keinen selbstverständlichen Anfang. Er konnte genausogut oben wie unten anfangen. Er ging zum Waschbecken und desinfizierte die Hände, streifte sich neue Kunststoffhandschuhe über und holte dann in dem an den Obduktionssaal angrenzenden Büro eine große Lupe.
    Als er wieder vor dem Objekt stand, begann er mit dem Haarboden. Er spürte jedoch, daß ihn schnell eine gewisse Ungeduld befiel. Auch das war keine wahrscheinliche Angriffsfläche. Er sah auf die Uhr und seufzte. Zwar lief er nicht unbedingt Gefahr, am nächsten Morgen seine Maschine zu verpassen, aber ihm war einfach unwohl bei dem Gedanken, daß er als Vater am letzten Abend nicht zu Hause war.
    Er nahm sich zunächst den Rücken vor, da das Objekt schon so lag, und arbeitete sich Zentimeter für Zentimeter an der freigelegten Muskulatur vor. Besonders wichtig waren die größeren Muskelpartien, die Oberarme beispielsweise. Nichts.
    Der Rücken war eine große glatte Fläche und überdies nicht sehr wahrscheinlich. Es ging schnell. Dann kam er zu der großen Gesäßmuskulatur hinunter, und dort glaubte er sich seinem Ziel schon wesentlich näher. Langsam, fast Millimeter für Millimeter, wanderte die Lupe über die verschiedenen Muskelbündel. Nichts.
    Er empfand es fast als Niederlage. Dort hätte er es finden müssen, dort war es jedenfalls am wahrscheinlichsten. Er arbeitete sich zunehmend langsamer an den Schenkelmuskeln hinunter, erst auf der linken Seite und dann weiter über die Wade.
    Dann ging er um den rostfreien Tisch herum und nahm sich die gleiche Partie auf der anderen Seite und von unten nach oben vor.
    An der Außenseite des rechten Schenkels dann fand er es. Nach allem Ermessen mußte es das sein. Es war ein kleiner Punkt, umgeben von ausgetretenem schwarzrotem Blut, ein etwas mehr als stecknadelgroßer Punkt mit einem Durchmesser von ungefähr einem Millimeter. Es war ein unverkennbares Zeichen. Hier hatte jemand kurz vor Lasse Holmas Tod eine Injektionsnadel angesetzt.
    Anders Eriksson reckte sich zufrieden, atmete auf und sah auf die Uhr. Ja, sie würden vielleicht noch wach sein, wenn er nach Hause kam.
    Sicherheitshalber beendete er die Prozedur, möglicherweise etwas nachlässig, da er doch sicher war, das gefunden zu haben, was er hatte finden wollen. Er drehte das Objekt um und begann von vorn. Nein, es gab nur eine interessante Stelle.
    Den Rest erledigte er sehr schnell. Er ging zu dem kleinen Lagerraum und holte zwei Kunststoffdosen. Er schnitt um das Einstichloch herum ein Stück Fleisch heraus, legte es in die eine Dose, etikettierte sie und legte sie in den Gefrierschrank. Dann ging er zu den beiden rostfreien Tischen zurück und suchte das faltige Hautkostüm ab, bis er die entsprechende Stelle fand, schnitt ein rundes Stück Haut um das Einstichloch herum aus und legte es in die zweite Dose. Er betrachtete das Stück Haut kurz von der Oberseite und nickte nachdenklich. Ja, es passierte recht oft, daß die gummiartige menschliche Haut sich um ein Einstichloch herum wieder so schloß, daß man es an der Oberseite der Haut unmöglich entdecken konnte. Er »kleidete« das Objekt schnell »an« und nähte die Haut zusammen, fuhr es zu seinem Kühlfach, rannte in den Obduktionssaal zurück und reinigte die beiden Tische. Dann löschte er das Licht und ging in sein Büro.
    Es war kurz nach zehn Uhr abends. Die Kinder würden bald zu Bett gehen. Er zögerte kurz, entschied dann aber, daß es besser war, fünf Minuten später nach Hause zu kommen. Dann wählte er die Nummer der Auskunft, um die Nummer eines gewissen Eino Niemi in Haparanda zu erfragen.
    Eino Niemi nahm selbst ab und klang zugleich defensiv und aggressiv, wie es oft bei Menschen der Fall ist, zu deren Job es gehört, jederzeit auf Anrufe gefaßt sein zu müssen, auf Anrufe von Leuten, die behaupten, sie hätten einen besonders wichtigen Grund. Außerdem hörte er sich ein wenig betrunken an.
    »Hallo. Worum zum Teufel geht es?« meldete sich Eino Niemi.
    »Frohe Weihnachten, hier Anders Eriksson.«
    »Welcher verdammte Eriksson?«
    »Professor Anders Eriksson vom Gerichtsmedizinischen Institut in Umeå. Ich habe soeben eine erweiterte gerichtsmedizinische Obduktion durchgeführt«, erwiderte der Pathologe und lächelte

Weitere Kostenlose Bücher