Der einzige Sieg
Stunden später… ich meine, man stirbt ja nicht zweimal.«
»Nein, Verzeihung, das war natürlich eine dumme Frage. Dann bedanke ich mich erst einmal… Du hast eine verdammt wichtige Arbeit geleistet, aber das weißt du sicher schon.«
»Oh, danke, aber du hast mir ja so in den Ohren gelegen, und das weißt du ja auch.«
»Ja. Wie war es auf der Rehjagd?«
»Phantastisch. Da unten im tiefen Süden wimmelt es geradezu von Rehen.«
Eino Niemi saß eine Weile vollkommen still da, erfüllt von einem eigentümlichen inneren Frieden. Er wußte, daß es mit diesem Frieden auf der Stelle zu Ende sein würde, wenn er den Polizeidirektor erwischte und ihm das Fax vorlegen konnte, das jetzt halb zerknüllt und zusammengerollt vor ihm lag.
Er warf einen Blick auf die Karte oben an der Wand. Fünf bis sechs Stunden. Das bedeutete, daß Lasse Holma seine letzte Mahlzeit irgendwo zwischen Rovaniemi und der russischen Grenze zu sich genommen hatte. Mit Hilfe der finnischen Kollegen würde man diese Stelle natürlich finden. Sie war jedoch nur eins von vielen Dingen, die gefunden werden mußten. Jetzt ging es nicht mehr um irgendwelche Albernheiten mit Multbeeren, sondern darum, einen selten kaltblütig und geschickt ausgeführten Mord aufzuklären. Überdies war es eine Mordermittlung, die mit zwei Wochen Verspätung in Gang kam.
Jetzt würde man ihm die Verantwortung abnehmen. Jetzt, wo es sich um Mord handelte, würde ein Kommissar beim Gewaltdezernat die höchste Ermittlungsverantwortung erhalten, zumindest in der täglichen praktischen Arbeit. Das war Eino Niemi jedoch gleichgültig. Die Hauptsache war, daß sie sich endlich auf dem richtigen Weg befanden.
Er beschloß, seine schnell hingekritzelten Notizen säuberlich auf der Maschine zu tippen, bevor er zum Polizeidirektor ging. Im Augenblick war er noch der einzige in Haparanda, der wußte, wie Lasse Holma gestorben war. Niemand konnte ihm vorwerfen, daß er sich um der Sorgfalt willen noch ein wenig mehr Zeit nahm.
Sowie seine Aufzeichnungen säuberlich abgetippt waren, würde er sich zum Polizeidirektor begeben und berichten. Dann würde er zu Lasse Holmas Witwe fahren und diese Vernehmung durchführen. Ja, sofern er nicht andere Befehle erhielt, natürlich.
Carl streckte sich behaglich in einem Liegestuhl aus, spreizte die Zehen im Sand und hielt den bandagierten linken Unterarm in die Höhe. Man hatte ihn mit sechsundzwanzig Stichen genäht, aber es juckte jetzt mehr, als es weh tat, was ein gutes Zeichen war. Er überlegte, ob er den Verband abnehmen und baden sollte. Salz und Sonne waren bei Hautwunden nicht falsch, lieber das, als daß die Wunden eiterten und unter dem Verband übel zu riechen begannen. Tessie war inzwischen bei ihrer dritten Diät-Cola angelangt.
Er wäre lieber nach Baja California hinuntergereist, nach Mexiko südlich von San Diego, um in Cortez’ Meer zu tauchen. Er zog diese Bezeichnung dem Begriff Bay of California vor. Bei Sturm und vier Grad über Null hatten sie ja ohnehin nicht in Kalifornien bleiben können. Vor allem nach dem, was sich in Santa Barbara ereignet hatte, kam es ihm richtig vor, home sweet home für dieses Mal ganz einfach zu verlassen. Sie hatten sich innerhalb weniger Minuten entschlossen und waren dann zum Charles-Lindbergh-Flughafen gefahren, um sich einfach davonzumachen. Schon am selben Abend waren sie in Key West angekommen. Die Lufttemperatur betrug fünfundzwanzig Grad, und im Wasser war es vermutlich ein Grad weniger, denn es badete niemand, zumindest nicht an ihrem Hotelstrand.
Er war bester Laune und lachte leise vor sich hin. Sie bemerkte es und nahm die Sonnenbrille ab. Sie zog ihren Liegestuhl demonstrativ näher an seinen, beugte sich über ihn, nahm ihm die Sonnenbrille ab und drückte die Nase an seine, während sie ihm gespielt vorwurfsvoll in die Augen blickte.
»Du hast immer noch nichts erzählt, Sailor«, stellte sie fest.
»Nee«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln. »Es gibt bei dem Skandal in Santa Barbara gelinde gesagt auch noch wichtigere Aspekte als das, worüber du dich beklagst. Die Hauptsache war ja das mit Stan.«
»Jaa«, sagte sie mit dem übertriebenen A-Laut, den Ausländer verwenden, wenn sie Schwedisch lernen, »jaa, das war wirklich das Wichtigste. Und dann noch, daß aus der ganzen Sache tournierte Vögel wurden.«
»Tournierte Vögel?« fragte er verwundert und erhob sich ein wenig mit gerunzelter Stirn. »Tournierte… ach so, turning birds ! Vertauschte
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