Der einzige Sieg
hießen. Wie sehr sie auch mit bestimmten Unterschieden in der Kultur gerungen hatten, waren sie doch zu einer tragfähigen Hypothese vorgedrungen: Dies hier war natürlich nicht die Mafia, zumindest nicht, wenn man damit die Mafia meinte. Es waren kleine Ganoven, die weit weg vom heimatlichen Boden Wildwest spielten. Zu Hause hätten sie vermutlich viel dafür gegeben, um als einfache »Soldaten« in jene Organisation aufgenommen zu werden, der sie hier anzugehören vorgaben. Vielleicht hatten sie aber auch ganz einfach die Chance erkannt, gerade Landsleute mit einer Logik einzuschüchtern, die bei Schweden nicht funktioniert hätte. Es gab ein lustiges schwedisches Sprichwort dafür: »Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.« Luigi versuchte, das ins Italienische zu übersetzen. Es wurde natürlich verständlich, hörte sich aber trotzdem nicht richtig an. Wie auch immer: Jetzt betrat die Katze die Bühne.
Er schaffte sich ein glänzendes, wenn auch unauffälliges Entrée im Ristorante La Nonna. Der erste Angestellte, der ihm entgegenkam und ihn begrüßte, brauchte nur einen kurzen Blick auf ihn zu werfen, um ihn sofort auf italienisch anzusprechen.
Er erwiderte die Begrüßungsphrasen freundlich und erklärte, einige seiner Freunde hätten gerade La Nonna als eines der wenigen Lokale in Stockholm empfohlen, in denen man wie zu Hause essen könne. Ja, die Küche sei doch noch nicht geschlossen? Wie gut, denn er habe einen langen Tag hinter sich und erst jetzt ans Essen denken können, und so weiter.
Er erhielt einen Fenstertisch zur Sturegatan für vier Personen. Es waren jedoch nur noch wenige Gäste da, genau wie er es erwartet hatte, und außerdem hatte er sehr deutliche Signale ausgesandt, daß er hohe Ansprüche stelle und das Beste gewohnt sei.
Er bestellte eine komplette italienische Mahlzeit, zumindest nach schwedischen Maßstäben, also drei Gänge. Er lächelte bei dem Gedanken, wie sich das zu Hause bei der Familie in Mailand ausgenommen hätte, und studierte mit wohlwollendem Interesse die Weinkarte. Er bestellte den teuersten italienischen Wein, einen Brunello di Montalcino, während er deutlich zu erkennen gab, daß ein französischer Wein für ihn nicht in Betracht kam und daß alles wahrhaftig keine Preisfrage war.
Das Lokal war offensichtlich ein Familienunternehmen. Mehrere der Brüder, die dort arbeiteten, ließen es sich angelegen sein, sich beim Servieren mit ihm zu unterhalten, was ihm Gelegenheit gab, seine kleinen Mitteilungen unauffällig einzuflechten. Bald hatte er den Eindruck, daß sie sich gleichsam entspannten, nachdem sie, wie er gehofft hatte, durch sein spätes Auftauchen zunächst ein wenig beunruhigt gewesen waren. Doch da er all ihre mehr oder weniger diskreten Fragen, was er in Schweden tue, wie lange er schon hier sei, wie ihm die Schwedinnen gefielen und ähnliches bereitwillig beantwortete, vermittelte er ein recht respektables Bild von sich.
Er sei in Schweden, um in Industrie und Bankenwelt einige neue Kontakte zu knüpfen. Gleichsam als Hintergrund nannte er den sehr bekannten Konzern seiner Familie in Mailand. Falls es jemandem einfallen sollte, detailliertere Fragen zu stellen, mußte er gute Antworten zur Hand haben. Nebenbei erwähnte er, daß er selbst in der EDV-Branche arbeite, und in der werde es niemandem gelingen, ihm etwas vorzumachen. Und während er solche kleinen Hinweise auf Geld und Macht ausstreute, erkundigte er sich zunehmend interessierter und am Ende in fast onkelhaftem Ton, wie im Ristorante La Nonna die Geschäfte gingen, ob es vielleicht besondere Probleme oder so gebe…
Als er bei seinem kleinen Espresso anlangte, waren alle anderen Gäste schon gegangen, wie er es sich schon ungefähr ausgerechnet hatte. Es konnte natürlich keine Rede davon sein, ihn zu drängen oder auch nur anzudeuten, daß man jetzt schließen wolle oder so. Diese Art von Demonstration gab es allenfalls für Schweden, aber nicht für Landsleute.
Luigi kam zu dem Schluß, daß jetzt der Moment gekommen war. Er rief den jungen Mann zu sich, der den anderen ein wenig übergeordnet zu sein schien, und machte zu seinem Landsmann eine sowohl einladende wie befehlende Geste, die bedeutete, daß er sich ihm gegenüber hinsetzen solle.
»Du heißt Marco, nicht wahr?« fragte er freundlich.
»Ja, Marco Stella. Woher wissen Sie das?«
»Weil die anderen dich Marco nennen. Ist dein Vater auch hier?«
»Ja, wieso?«
»Ich habe einen kleinen
Weitere Kostenlose Bücher