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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Viertel. Es war jetzt schon nach zwölf, die Straßen hatten sich geleert, die Lokale lagen dunkel. Nur manchmal drangen ein paar Töne zu ihnen, die Takte eines Jazz – hinter verschlossenen Läden tanzte und trank Berlin sich dem Abgrund, dem Katzenjammer näher …
    »Hoffentlich weiß der Chauffeur ein nettes Lokal«, sagte Erich halblaut.
    »Wenn er nicht weiß, weiß ich …«, antwortete der Anwalt. – Und wieder schwiegen sie, rauchten und konnten es eigentlich beide kaum erwarten, daß neue Mädchengesichter ihnen entgegensahen, neuer Alkohol für sie in Gläser geschüttet wurde.
    Das Auto hielt vor einem Lokal, dessen Wirt sich mit der Polizei sehr gut stehen mußte, denn alle Fenster waren hell erleuchtet. Die Musik klang über die Straße, und die Tür, auf deren Klinke Erich die Hand legte, war nicht verschlossen.
    »Hier ist’s richtig!« rief Erich erfreut.
    Die Melone im Nacken, den Gehpelz weit geöffnet, hielt er seinen Einzug. Sachte, den Kopf etwas in den Schultern (denn wer konnte wissen, wen alles man in solch einem Lokal traf?!), folgte ihm auf leisen Füßen der Abgeordnete.
    Das Lokal war ziemlich voll, sehr verraucht und ganz alkoholisiert. Alles war überstreut mit Konfetti, bunte Papierschlangen hingen überall, sie krochen über den Teppich und raschelten leise, wenn der Fuß auf sie trat.
    »Nett, was?« fragte Erich, der stehengeblieben war, den Anwalt.
    Auf dem schmalen Gang zwischen den Tischen tanzte ein Mädchen. Es war schön frisiert, sehr schön gemalt – und völlig nackt. Sie tanzte zu den Tönen der Geige, die der Primgeiger schmalzig strich, irgendein verlangendes Gebiege und Gewoge, mit fest geschlossenen Augen – und ein hinsterbendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
    »Hübscher Körper, was?« fragte Erich. »Noch blutjung …«
    Er legte seine Hand auf die Schulter des Anwalts und stützte sich auf ihn, er starrte, wie die anderen starrten. Starrte auf das hundertfach Gesehene, das an jeder Ecke Käufliche, das in Ekel, in Überdruß, in Hoffnungslosigkeit gleichgültig Weggeworfene, und dachte dabei: Herrgott, vor vier Jahren, als ich die kleine Dingsda bei mir in Dahlem nackt tanzen ließ, habe ich noch alle Dienstboten aus dem Hause geschickt, weil ich wunder dachte, was das war! Und heute geschieht es schon in einem öffentlichen Lokal, und es scheint allen ganz selbstverständlich. Wir haben es weit gebracht; aber das ist nicht meine Sache, ich bin kein Abgeordneter …
    Und er warf einen Blick auf den Anwalt.
    Aber der Anwalt achtete jetzt nicht auf ihn. Er verhandelte mit der Blumenfrau, er kaufte ihr für einen unerhörten Betrag den ganzen Korb voller Rivieraveilchen ab und fing an, nach dem nackten tanzenden Mädchen mit den Sträußen zu werfen. Das Mädchen lächelte geschmeichelt und doch ängstlich, denn der Anwalt war kein geschickter Werfer, und der bei einer Mischung von Mädchenhändler und Impresario mühsam eingepaukte Tanz geriet in Verwirrung, wenn sie im Gesicht getroffen wurde …
    »Lassen Sie mich auch!« sagte Erich und griff in den Korb. »Ich treffe besser!«
    »Das sind meine Veilchen!« rief der Anwalt, ungewohnt ärgerlich. »Laß die Pfoten davon!«
    Das mit aller Überredung Erichs und einem hohen Geldgeschenkan den Tisch der beiden Herren geholte, so reizvoll jugendliche Mädchen – jetzt im Privatleben in einen Kimono gehüllt, nur im Dienst erlaubte ihr der strenge Wirt Nacktheit –, diese Schöne also erwies sich als ein Reinfall. Zu offen zeigte sie ihr mangelndes Interesse an der Person ihrer beiden Kavaliere, ihre Geldgier.
    »Wat bildet ihr Affen euch in, warum ich so nackich vor euch tanze? Euertwegen? Det ick nich lächere! Aber ick habe fünf kleene Jeschwister zu Haus.«
    »Und deine Mutter liegt auf dem Krankenbett und dein armer, aber unehrlicher Vater ist auf dem Felde der Ehre gefallen …«, spottete Erich wütend. »Das kennen wir alles! Kannst du uns nicht mal etwas anderes erzählen, meine Süße …?«
    »Und is doch wahr! Ihr denkt, det kann nich wahr sind, weil euch die Nutten schon damit anjesohlt haben. Und is doch wahr …«
    »Und den Leutnant, der dich verführt hat und der dich hat heiraten wollen, der aber zu schnell gefallen ist, den darfst du auch nicht vergessen …«
    »Laß doch sein, Erich«, sagte der Anwalt geärgert. »Sei bloß nicht so streitsüchtig. Du trinkst schon wieder zu hastig.«
    Das Mädchen sah mit raschen, bösen Augen vom einen zum anderen.
    »Ich lasse mich nicht gerne

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