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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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letzten Augenblick machen. Denn hat er keene Zeit mehr …«
    »Vater, ich kann es nicht. Ich darf es nicht.«
    »Tu’s man, Heinz. Es is ja ejal. Wat früher war, det Anständije, det is ja doch kaputt! Laß se alle man toben, denk ick oft. Det wird doch nischt wieder mit uns, Heinz. Laß’n loofen, den Erich.«
    »Es wird noch wieder anders …!«
    »Wie denn? Ick weeß nich, wie. Es jeht immer mehr in’n Dreck. Und, Bubi, ick hab’n Schlund voll. Wie se da jestanden hat, uff de Armesünderbank, die Eva, meen ick, und sieht mir nich an, immer bloß den jemeenen Kerl, und ick muß dem Richter sagen, wie mein Kind jewesen is, und er fragt mir vor alle Leute, ob se schon früher jeklaut hat und wann se anjefangen hat mit de Männer, und ob se ville jelogen hat, und ick denk immer, det is meene Tochter, aber se kiekt mir nich an … Det is nu mein Beitrag zu’s deutsche Volk … Nee, Heinz, noch mal detselbe, un nu mit Erichen … Nee, mein Junge, det is nich! Da machen wir nich mit, ick nich un Muttern ooch nich …«
    »Na also tjüs, Vater«, sagte Heinz nach einer Weile. »Ich will tun, was du gesagt hast. Wenn es auch bestimmt nicht richtig ist …«
    »Jott, Heinz, wenn de mir det mal erzählen wolltest, wat richtig is im Leben …«
    Nein, es war nicht richtig, Heinz war fest davon überzeugt.Er saß den Vormittag über auf der Polizei und auf dem Präsidium Alexanderplatz und sah die mißmutigen Gesichter der Beamten und ihre Unentschlossenheit. Er las ihnen den Verdacht von den Mienen: Rache eines entlassenen Angestellten …
    Berlin war ein Chaos, es geschahen so viel offenkundige Verbrechen, zum Himmel schreiend; die Beamten waren übermüdet, überanstrengt, und sie waren auch gereizt, weil ihnen so oft der Zugriff bei einem offenkundigen Verbrechen behindert worden war … aus politischen Gründen, aus freundschaftlichen Gründen, wegen Beziehungen. Es gab ganz andere Bankhäuser als das kleine Winkellokal Hoppe & Cie. – es gab große Herren, die Barmat hießen, die Kutisker hießen … Herren, derentwegen schon mancher Beamte gezwungen worden war, aus dem Dienst zu gehen …
    Nein, sie waren nicht sehr willig, wegen des bloßen Geredes eines entlassenen Angestellten einzuschreiten. Nun ja, sie würden zusehen, beobachten, Ermittlungen anstellen … Seine Adresse hätten sie ja …
    »Dann ist es zu spät«, sagte der junge Mann. »Wo kann ich hier noch hingehen?«
    »Sie machen ja mächtig viel Dampf dahinter!« lachten sie. »Na, kommen Sie einmal mit!«
    Sie setzten ihn in das Vorzimmer eines höheren Tiers, eines gefürchteten Bullenbeißers. Sie gaben dem anmeldenden Beamten das Protokoll, und dann verließen sie ihn … »Es wird ihm schon langweilig werden«, sagten sie.
    Da saß nun Heinz Hackendahl und wartete, aber langweilig wurde es ihm nicht.
    Sondern er dachte an den Bruder Erich, das machte ihn so hartnäckig. Und plötzlich wußte er, daß er wirklich keinen Menschen auf dieser Welt so haßte wie den Bruder.
    Vor den Bruder aber hatte sich der Vater gestellt, ein alter Mann, der nicht viel Freude mit seinen Kindern erlebt hatte. Man konnte es schon verstehen, daß er sich schützend vor den Sohn stellte. Nicht aber konnte man den Sohn verstehen,nein, er verstand sich selber nicht. Hier saß er, er saß um des Bruders willen hier, wenn er aber erreicht haben würde, daß sie gegen ihn vorgingen, dann wollte er an das Telefon laufen und den Bruder warnen … (Er hatte ja schon die Telefonnummer auf einem Zettel in der Tasche!) Er wollte ihn nicht warnen, weil er etwa glaubte, der Bruder werde nach solcher Warnung anders werden, sondern bloß so … aus einem schwächlichen Mitleid, innerlich fest davon überzeugt, Erich werde weiter Böses tun …
    Ja, hier ging es um eine Entscheidung, es kam darauf an, ob man den Mut hatte, sich selber weh zu tun, nur nach dem eigenen Herzen zu handeln … Niemand rief einen, niemand half einem auch … Nur auf sich selbst war er gestellt … Ach, wenn es doch nur ein gleichgültiger Mensch, irgendein Hoppe gewesen wäre, daß es gerade der Bruder sein mußte! Und er erinnerte sich Erichs, wie rasch und hell er gewesen war – o doch, jawohl, einmal hatte er ihn sehr bewundert und geliebt!
    Vielleicht, dachte er, kann man so sehr nur hassen, was man einmal sehr geliebt hat.
    Und dann hätte er sich doch wieder gerne um die Entscheidung gedrückt. Entschuldigungen genug, um zu gehen – was würde Irma schon warten!
    Aber nun ist es soweit, daß er

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