Der eiserne Gustav
nach Paris. Mein Sonderzug fährt nich ohne mir. Erst muß ick Jeld wechseln …«
Er leert seine Taschen aus, der Kassierer muß ihm die Groschen einwechseln.
»Det jeht ja, det Jeschäft! Fast fünfhundert Stück hier im Hause vakooft! Na, ick bin janz zufrieden mit euch junge Leute hier. Wenn ick wieder’n Ufftrag zu vajeben habe, laß ick’n euch zukommen!«
Er kann es nicht lassen, er blüht jetzt auf. Das echte Berliner Mundwerk, nicht in Berlin, sondern in einem Dorf bei Pasewalk geboren, feiert Orgien …
9
Es ist fast elf Uhr, als der eiserne Gustav wieder auf den Bock seiner Droschke steigt. Grasmus hat indes den Festschmuck völlig verwüstet. Aber es ist keine Zeit, ihn in Ordnung zu bringen, die Musiker schimpfen schon: »Wegen deiner Bummelei stehen wir uns hier Eisbeene, Justav!«
Jetzt triumphieren sie ihm mit Musik voran. Der Braune tänzelt bei dem ungewohnten Lärm. Gustav zieht seinen Zylinder und grüßt zu den vielen Fenstern des Verlagshauses hinauf, die alle mit lachenden Gesichtern besetzt sind.
In der Droschke sitzt ein Ehrengast, nicht einmal die Taxuhr wird für ihn angestellt. Er darf gratis fahren, der Ehrengast – und die Kollegen im Zeitungshaus sehen ihm teils wohlwollend, teils neidisch nach.
Gustav Hackendahl dreht sich um. »Na, wie ha’m wir det jemacht, Herr Jrundeis?«
»Für den Anfang ausgezeichnet! In die erste Beilage kriege ich Sie bestimmt!«
»Sehen Se, wat de Leute kieken – die kieken nich bloß wejen die Musike. Die kieken meinswejen.« Er seufzt, dann sagt er: »Manchmal is det Leben ebent doch janz scheen, Rotkopp!«
»Und ob!« sagt Rotkopf begeistert.
»Eigentlich«, meint Hackendahl nachdenklich, »müßt ick alle Ecken runter vom Bock und’n paar Ansichtskarten vakoofen, aber es hält zu sehre uff! – Macht Ihnen det was aus,Herr Jrundeis, wenn Se denen so’n paar Karten aus’m fahrenden Wagen rauslangen?«
»Werden Sie bloß nicht geldgierig, Herr Hackendahl!« sagt Grundeis. »Sie fahren nicht zum Erwerb – Sie fahren doch zum Vergnügen!«
»Na ja, wie Se meenen. – Ick will ja hoffen, et wird’n Vajniejen!«
Und nun sind sie vor dem Berliner Rathaus angelangt, vor dem Roten Haus.
»Na denn!« sagt Hackendahl und klettert vom Bock. »Denn jeben Se mal det Buch her, Herr Jrundeis.« Er nimmt den in Leder gebundenen Band. »Jawoll, denn wird uns anders sind, wenn wir erst wieder hier antreten, und det Buch is voll, wat. Kiekt man orntlich, Jungens! Jawoll, könnt ihr Muttern erzählen, ihr habt den varrückten Droschkenkutscher jesehn, der nach Paris fährt … Denn freut sich Muttern, det in Berlin die Varrückten immer noch frei rumloofen dürfen. Na, kommen Se, Jrundeis!«
Aber Grundeis will nicht mit ins Rathaus.
»Sie sind ja angemeldet. Ich habe noch was zu besorgen.«
Hackendahl muß allein gehen. Eine Behörde ist etwas anderes als ein Zeitungshaus, ein Beamter etwas anderes als ein Redakteur. Hier wird von Gustav Hackendahl nicht das geringste Aufheben gemacht.
»Na, geben Sie schon her! Bloß Arbeit hat man mit euern verrückten Ideen. Und nachher hört man nie wieder von euch. Also schön: elf Uhr fünfunddreißig, am 2. April meldet sich der Droschkenkutscher Gustav Hackendahl, durch Reisepaß ausgewiesen, Einspänner-Pferdedroschke Nummer 7, hier auf dem Rathaus der Stadt Berlin und gibt an, nach Paris fahren zu wollen. – In Ordnung, was?«
»Na ja, denn is det woll in Ordnung«, seufzt Hackendahl, ein wenig enttäuscht über diesen Empfang. »Aber wenn ick zurückkomme, denn macht ihr mir andere Jesichter, vastanden?«
»Los! Ab! Raus! Wir haben hier keine Zeit für so’nen Quatsch! Hier wird nämlich richtig gearbeitet, Männecken!«
»Ach nee!« grinst Hackendahl. »Arbeeten tut ihr ooch? Ick dachte immer, ihr schmiert bloß Papier voll!«
Und damit macht er, daß er fortkommt, denn ein gereizter Beamter ist gefährlich. Aber er ist gar nicht einverstanden. So’ne Brüder! schimpft er bei sich. Die wachen ooch nie uff! Na, wartet, wenn ick erst wiederkomme!
Sein Ärger vergeht, als er unten ist. Viele Neugierige stehen jetzt da, Schutzleute müssen ihm die Fahrbahn frei machen … Nun kommt Grundeis gestürzt, springt in den Wagen …
»Los!« ruft er. »Aber halten Sie den Gaul fest, jetzt sollen Sie mal was hören!«
Und kaum hat sich die Droschke in Bewegung gesetzt, so beginnt ein ohrenbetäubendes Tuten, Hupen, Heulen um den ganzen Platz herum. Alle Autos hupen, sie scheinen in einem bestimmten
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