Der eiserne Gustav
Gesicht hörte der graue Rittmeister den Späßen dieses Hanswurstes zu. Er zeigte: »Der – und der da …«
Er sagte halblaut etwas zum Schreiber.
»Der nächste!«
»Wie?!« fragte Hackendahl den Schreiber. »Neunzehn …?«
»Ja, der Schimmel und die beiden braunen Ponys sind zurückgewiesen«, sagte der Schreiber gleichgültig. »Hier ist Ihre Anweisung.«
»Aber …«, sagte Hackendahl fassungslos. »Wovon soll ich denn leben? Ich habe doch einen Fuhrbetrieb … Nur noch drei Pferde …«
Er sah das Papier an. Aber er verstand noch immer nicht, was darauf stand, vor seinen Augen waren Flecke.
»Es ist nämlich Krieg …«, sagte der Schreiber. Er sagte es bestimmt etwas spöttisch.
»Sie sollen hier doch nicht stehen! Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt«, sagte der Rittmeister scharf. Und nach einem längeren Blick: »Was stimmt nicht?«
»Von zweiundzwanzig Pferden nur noch drei!« sagte Hackendahl. Dies war es, was sein Kopf zuerst begriffen hatte, und dies hielt er fest. »Ich habe doch einen Fuhrbetrieb …«
Er sah den Rittmeister an, als müsse er es verstehen.
»Wir haben Krieg«, sagte auch der Rittmeister. Aber er sagte es kalt. »Zehntausende von Vätern haben ihre Söhne hergeben müssen – und Sie klagen hier wegen Pferden!« Er musterte Hackendahl noch einmal, sagte dann milder: »Also gehen Sie jetzt – altgedienter Mann Sie, und meckern!«
Hackendahl nahm die Hacken zusammen und ging. Der Appell an seine Militärzeit verfing noch immer. Er ging, Rabause zog mit den drei Pferden hinterher – noch nie hatte der Schimmel so trübselig ausgesehen.
Es war erst zu Hause, daß Hackendahl entdeckte, was die Militärverwaltung willens war, ihm für seine Pferde zu zahlen: Stück für Stück hundertfünfzig Mark, er aber hatte dem Eggebrecht fünf-, ja sechshundert Mark gezahlt!
Das sind ja Friedenspreise! dachte er und starrte auf die Zahlungsanweisung. Im Frieden kosteten solche Katzen nicht mehr …!
Ja, dachte er, wenn sie uns etwas nehmen, dann haben wir Frieden. Wenn wir aber etwas hergeben sollen, dann ist Krieg.
Er saß lange – er dachte nach. Er änderte sich nicht, nein, das konnte er nicht mehr. Aber er gab sich einen Ruck, er war wirklich eisern. Er gab sich einen Ruck, er ging hinunter, er lohnte die Kutscher ab.
»Feierabend«, sagte er. »Schluß hier mit dem Betrieb!«
Kein Zucken, keine Schwäche. Das war einmal gewesen, auf dem Musterungsplatz, es war ihm zu unerwartet gekommen. Aber jetzt sollte ihn keiner mehr klagen hören – auch die zu Hause nicht. Wie es kam, wurde es gefressen.
»Hör zu, Rabause«, sagte er. »Von jetzt an fahre ich die eine Droschke, und du fährst die andere. Einen Gaul lassen wir immer stehen, einer von den drei Kröpels wird ja immer krank sein.«
Rabause sah ihn an. »Jawohll, Herr Chef«, sagte er. »Das mach ich. Wir werden schon Geld nach Haus bringen, nach dieser Musterung wird’s kaum noch Droschken geben in Berlin.«
»Und«, sagte der Chef, »du hast damals ganz recht gehabt, der Stall ist zu groß. Aber bauen will ich nicht. Ich werde sehen, daß ich den Krempel hier verkaufe. Und dann richten wir uns irgendwo ganz klein ein, ist eigentlich auch ganz schön, Rabause, weißt du noch?«
»Und ob ich weiß, Herr Chef!« sagte Rabause. »Als die Kinder noch klein waren – das war ’ne Zeit!«
»Das war es«, bestätigte Hackendahl. »Na, vielleicht kriegen wir es noch einmal ähnlich wieder.«
Vielleicht …
4
Gustav Hackendahl ist wieder zu dem Beruf seiner jüngeren Jahre zurückgekehrt, im blauen Kutschermantel, den weißgrauen, schweren Lackzylinder, Mutters Milchpott, auf dem Kopf, hält er an den Wartestellen.
Die anderen Kutscher, als sie Gustav Hackendahl zuerst hinter seinem kopfhängerischen Schimmel auftauchen sahen, riefen ihm zu: »Na, Justav, laß ’nen anderen ooch wat verdienen! Du willst woll mit Jewalt reich werden?«
Und untereinander meinten sie: »Dem fährt keiner jut jenug. Na, laß das Kind die Bulette. Es wird ihm schon leid werden mit Steckrüben im Bauch bei diesem Wetter!«
Allmählich aber, als sie ihn immer wieder sahen, bei jedem Wetter, nicht die schlechteste Fuhre ausschlagend, als es sich herumgesprochen hatte, daß er nur noch mit zwei Droschken fuhr, da sagten sie: »Und wie stand der Mann mal da! Aber allens, was recht ist: Er jibt nich nach! Der Justav is wirklich eisern!«
Gustav Hackendahl läßt sie reden. Er sitzt auf seinem Bock, er nimmt die große Veränderung in
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