Der eiserne Gustav
Hackendahl und zwinkert der Wirtin zu. »In welchem Zimmer sind denn die jungen Leute?«
»Junge Leute! Was wollen Sie denn überhaupt? Bei mir sind überhaupt keine jungen Leute!«
»Na, Mullecken«, sagt Hackendahl wieder. »Nu mach bloß keinen Heckmeck! Die jungen Leute, die ick eben mit meine Droschke bis hier jefahren habe.« Und da die Frau noch immer zögert, denn selbst in der Kriegszeit besannen sich Polizei und Richter anfallweise auf den Kuppeleiparagraphen: »Dies hat doch das Mächen bei mir in de Droschke vajessen!«
Und er klopfte auf die Decke, die im dunklen Entree nicht recht sichtbar war.
»Geben Sie her«, sagte die Alte. »Ich werd’s ihr nachher selber geben.«
»Nee! Nee!« wehrte Hackendahl ab. »Det muß ick selber machen. Nachher heißt es bloß, ick weiß von nischt, mein Name ist Hase.«
Und die Alte einfach beiseite schiebend, ging er auf den Flur, sah musternd die Türen an …
»Nicht da! Da doch!« zischte die Alte wütend. »Klopf wenigstens an, alter Dussel!«
Aber Hackendahl hatte die Tür schon geöffnet und trat ein. Flüchtig sah er die beiden Gestalten, aber er ließ sich Zeit. Bedachtsam schloß er die Tür von innen zu, probierte noch mal die Klinke und rief: »Sei doch stille, Mullecken! Ick bin ja nu drin! Wat schimpfste noch …?«
Dann drehte er sich um. »Na, Evchen?« sagte er, und in seiner Stimme war nichts von Zorn zu spüren.
Sie sah ihn mit großen, weit offenen Augen an. Sie stand am Fußende des Bettes, ihr Mantel hing über einem Stuhl – sie stand da in ihrem Kleid. Einmal warf sie einen raschen Blick nach der Seite hin, wo am Nachtschränkchen der Kerl stand. Aber gleich sah sie wieder den Vater an.
Hackendahl setzte sich langsam in einen der rotsamtenen großen Sessel, legte die Decke über die Knie und strich sie mit der Hand glatt. »Schöne Sessel sind das«, sagte er nach einer Weile. »Nur besser müßte damit umgegangen werden.«
Keiner antwortete. Es war sehr lange still.
»Ja, Evchen«, sagte Hackendahl wieder. »Wenn du nicht anfangen willst, muß ich wohl anfangen. Oder willst du was sagen?«
»Ach, Vater …«, sagte sie leise. Und nach einer Weile entschlossener: »Es hilft ja doch nichts, das Reden …«
»Das sag nicht, Evchen, das sag man nur nicht. Reden hilft immer, reden tut immer gut … Ich habe es ja schon lange vorgehabt, das weißt du auch, aber es hat immer nicht so gepaßt … Na, Evchen …?«
Sie machte eine Bewegung, aber sie besann sich und sagte nichts.
»Wenn man über ’ne Sache nicht reden mag, Evchen«, sagte Hackendahl, »dann ist immer was faul. Und daß bei dir nicht alles in Ordnung ist, das habe ich schon lange gemerkt. Da brauch ich nicht erst in den Puff hier raufzukommen, mit offener Tür und allem – das weiß ich schon so …«
»Hören Se mal, oller Herr …«, fing die freche Stimme des jungen Mannes an. (Genau so eine Stimme, wie sie zu so ’nem Fettsteiß paßte, fand Hackendahl.) »Sie kommen hierher un spucken jroße Bogen …«
»Du hältst die Fresse, mein Junge!« sagte Hackendahl, ohne die Stimme zu erheben und ohne den Kerl anzusehen. »Ich rede hier mit meinem Mädchen, und da hast du dein Maul nicht reinzuhängen. – Aber höre mal, Evchen«, sagteer, und ohne daß er lauter oder leiser sprach, hatte seine Stimme wieder einen anderen Klang. »Was sollen wir von all dem Zeugs reden? Da hast du wirklich recht. Vorbei ist vorbei. Aber nun paßt es grade mal so, ich halte unten mit meiner Droschke, und nu kommste mit mir. Ich fahre dich fein erster Güte und ganz für umsonst nach Hause …«
Das Mädchen hatte keine Bewegung gemacht, aber doch war es Hackendahl, als habe sie blitzschnell zu dem Mann hingesehen.
»Nach dem Kerl mußt du nicht hinsehen, Evchen«, sagte er. »An den Kerl mußt du gar nicht mehr denken. Wer mit ’nem anständigen Mädchen in so ’nen Puff geht und am hellerlichten Tage dazu, um den muß man sich nicht kümmern. Und du bist ein anständiges Mädchen, Evchen, meine Kinder sind anständige Kinder, alle, das weißt du doch!«
Er wäre jetzt froh gewesen, wenn der Kerl in der Ecke was gemeckert hätte, er hätte ihn gerne in die Fresse geschlagen! Aber der Kerl war genau so, wie so ein dickärschiger Lude ist: Er wußte, wenn’s donnert. Er verzog nicht das Maul! Und Evchen, sein Evchen, seine Lieblingstochter stand immer noch ohne Bewegung da!
»Na, mach, Mädchen«, sagte er zuredend. »Zieh deinen Mantel an und komm!«
Sie schüttelte den Kopf.
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