Der Eiserne König
habe es vergessen.«
»Spar deinen Atem«, keuchte Hilck von der Usse. Er sah über die Schulter – die Wilde Jagd war ihnen dicht auf den Fersen, und die Fluren Flutwiddes boten wenig Deckung, weil die Wälder wegen des fruchtbaren Ackerbodens bis auf wenige, kleine Gehölze gerodet worden waren.
Sein frisch ernannter Knappe, der Hirte Hans-mein-Igel, hatte die Stacheln gesträubt und fragte sich, in was er sich da – im wahrsten Sinne des Wortes – hineingeritten hatte.
Das Geschrei der Wilden Jagd ging den Reitern durch Mark und Bein. Angeführt von einem Wesen mit halb wölfischer, halb kindlicher Fratze, schoss sie wie ein gewaltiges, einem gemeinsamen Willen gehorchendes Geschöpf mit knallenden Flügelschlägen dahin, und wenn sie nach links oder rechts schwenkte, geschah das so geschmeidig wie zum Takt einer Musik, die nur sie hören konnte.
Gografen und Knappe, tief über den Widerrist ihrer Rösser gebückt, preschten über die Felder. Sie konnten die Wilde Jagd nicht abschütteln, und sie mieden die Dörfer, um die Bewohner nicht zu gefährden. Dann tauchte in der weiten, sanft gewellten Landschaft, die sich zwischen Mölme und Beeke erstreckte, ein Gehöft auf. Die Gografen, deren Rösser fast am Ende waren, hielten darauf zu. Als sie den dreckigen, von Kot und Stroh bedeckten Hof erreichten, floh ein Hund mit eingekniffenem Schwanz; die Haustür knarrte im Wind, alles wirkte verlassen. Hilck und Helmdag glitten aus dem Sattel, ohne anzuhalten, und ließen ihre Rösser weiterlaufen. Hans-mein-Igel, der es ihnen gleichtun wollte, verlor den Halt und rollte über den Hof. Schmeißfliegen stoben auf, als er vollkommen verdreckt vor dem Misthaufen auf die Beine kam.
Die Wilde Jagd schoss hinter den Pferden her. Gografen und Knappe nutzten den Moment, um in eine Scheune zu fliehen. Sie knallten das Tor zu und verkeilten es mit der Deichsel eines Ackerwagens. Sie zogen blank und sahen sich um – bis auf den Wagen, einen Pflug, eine Egge und einen Rest Heu war die Scheune leer. In einer Ecke lag ein Pferdekadaver.
»Verhungert«, murmelte Helmdag nach einem Blick auf das Tier.
»Warum ist der Hof aufgegeben worden?«, fragte Hilck von der Usse. »Dies ist der beste Ackerboden in ganz Pinafor.«
Sein Knappe sah zur Decke. Spinnweben hüllten die Sparren ein, und an einem Balken hing ein Strick, als sollte jemand gehängt werden.
Hilck von der Usse spitzte die Ohren. »Alles ruhig«, flüsterte er.
»Vielleicht haben wir die Ungeheuer abgehängt«, erwiderte der frischgebackene Knappe hoffnungsvoll.
»Freut euch nicht zu früh«, sagte Helmdag, der auf der Leiter zum Strohboden hinaufstieg. »Wie leergefegt«, rief er. »Nein, wie aufgepickt. Kein einziger Strohhalm mehr.«
»Mädchen und Stroh – alles weg«, brummte Hilck. »Schade, denn manchmal hätte man gern beides zusammen.«
Helmdag wollte hinuntersteigen, als dumpfe Schläge auf das Scheunendach prasselten. Draußen erschallte das Geschrei der Wilden Jagd. »Sie haben uns entdeckt«, schrie er und sprang von der Leiter. »Was nun?«
Hilck von der Usse kratzte sich am Bart. »Wir können nur abwarten«, erwiderte er.
Helmdag schlug sein Schwert frustriert in einen Balken. Die Scheune erbebte, Staub rieselte von der Decke. Es klang, als würden sich die Wesen der Wilden Jagd aus großer Höhe auf das riedgedeckte Dach stürzen. Dann wurde am Tor gerüttelt, aber die Deichsel hielt stand. Hilck sah durch einen Spalt – ein Ungeheuer mit verhutzeltem Greisinnengesicht und dem Körper eines Salamanders zischte ihn an. Er zuckte zurück. Hans-mein-Igel, der Knappe, zog mit zitternder Hand eine Stummelpfeife aus der Tasche, stopfte sie und entfachte den Tabak mit seinem Luntenfeuerzeug. Helmdag blaffte ihn an: »Ist das hier eine Märchenstunde für deine Enkelkinder? Im Winter gemütlich vor dem warmen Kamin? Weg mit dem Qualmstecken.«
Der Knappe starrte den Gografen aus seinen kleinen, dunklen Igelaugen an und klopfte brav die Pfeife aus. Da splitterte das Tor. Ein ledriger Arm zwängte sich durch den Spalt, eine Klaue tastete nach der Deichsel. Hilck von der Usse sprang herbei und stieß mit dem Schwert zu. Ein schriller Schrei gellte, und der Arm zuckte zurück. Draußen erhob sich zorniges Geheul. Ein Windstoß fegte durch den Spalt und wirbelte die aus dem Pfeifenkopf rieselnde Glut durch die Scheune. Einige Funken landeten auf dem Heu, das wie Zunder aufloderte und einige Atemzüge später lichterloh brannte.
Helmdag, vor
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