Der Eiserne König
Schoß.
»Wo habt ihr gesteckt?«, fragte Kunz verdrossen.
»Wir dachten, ihr hättet uns im Stich gelassen«, sagte Hardt.
»Nicht doch!«, erwiderte der Fuchs. »Wir haben die Spur des Maultiers verfolgt.«
»Wir wollten sichergehen, dass uns niemand in den Rücken fällt«, fügte der Dachs hinzu.
»Ach, ja?«, knurrte Kunz. »Dann habt ihr glorreich versagt!«
Hans starrte die Reiterin an. Sie glitt vom Damensattel und griff nach einem daran befestigten Stock. Hans stutzte. Und als die Frau die Haube abnahm, erkannte er sie.
»Muhme!«, rief er enttäuscht und erfreut zugleich.
Die Muhme lächelte faltenreich. Sie holte Wasserkessel und Becher aus der Satteltasche. Sie schwieg, bis der Kessel über dem Feuer hing und ihre Pfeife gestopft war. Als sie daran zog, mischte sich Pilzgeruch in den Bratenduft. Der Himmel war bedeckt, und am Ufer des Dunkelpfuhls trieben letzte Schaumkronen.
»Im Alter hält man sich an Rituale«, sagte die Muhme. »Erst muss das Wasser im Kessel kochen, dann rauche ich eine Pfeife.« Sie hielt die Hände über das Feuer.
»Horn fiebert«, sagte Hardt. »Kannst du ihm helfen?«
»Vielleicht«, antwortete die Muhme.
»Warum bist du hier?«, fragte Hans, der nicht wusste, ob die Ankunft der Alten ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
»Gemach, Gemach!«, erwiderte sie. »Zuerst Pfeife und Tee. Dann die Heilkräuter. Und dann alles andere.«
Die Gefährten aßen hungrig, während die Muhme ihren Tee trank und paffte. Schließlich humpelte sie in den Wald. Nach einer Weile kehrte sie mit Eisenkraut und Königsfarn zurück und wechselte Horns Verband.
»Schlimme Wunden«, sagte sie, als sie wieder am Feuer saß. »Aber die Kräuter werden helfen.«
»Warum bist du hier?«, fragte Hans, der seine Ungeduld nicht länger bezähmen konnte.
Die Muhme sah ihn an. Ihre Pupillen füllten die Augen fast ganz aus. Sie zog einen Lederbeutel hervor und ließ weißes Pulver in den Pfeifenkopf rieseln.
Hardt zupfte an seinem Spitzbart. »Was mag die Alte da rauchen?«, dachte er. Als er den Qualm einatmete, wurde ihm schwindelig, und er hatte plötzlich Bilder vor Augen: Sieben Raben, groß wie Greife, flogen kreischend über die Muhme, die auf dem Heimweg von den dreizehn weisen Weibern war; zwischen Holundern, deren Wurzeln von Nagetieren und Ungeziefer zerfressen waren, stand eine Kate, vor der sich Ungeheuer mit kahlem Schädel und einem dem Steiß entspringenden Schwanz zusammengerottet hatten; eine große, goldene Kröte kroch aus einem Brunnen; ihrem Maul entstieg eine dunkelhaarige, weiß gewandete Frau; sie spitzte die Lippen und stieß ein Surren wie von tausend Spinnrädern aus, in das sich das Stöhnen gequälter Seelen mischte; das Stöhnen wurde immer lauter und nahm schließlich die Gestalt eines Riesen mit wehendem Bart und Eisenrüstung an, der auf seinem Weg durch Pinafor eine Schneise der Verwüstung schlug.
Hardt rang um Atem und riss die Augen auf. Hans und Kunz saßen wie versteinert da. Die Muhme paffte. Das Fleisch über dem Feuer begann anzubrennen. Hardt schob Sneewitts Kopf von seiner Schulter und ließ sie zu Boden gleiten; sie wachte nicht auf. Dann wendete er den Braten. Im nächsten Moment fegte ein Windstoß den Pfeifenqualm weg, und Hans und Kunz schlugen die Augen auf. Sie wischten sich Speichel aus den Mundwinkeln und sahen sich so verwirrt um, als wären sie aus einem langen Traum erwacht.
Die Muhme nahm die Pfeife aus dem Mund. »Nun wisst ihr alles«, sagte sie.
»Was soll ich wissen?«, fragte Hans und rieb seine Stirn. »Ich habe nur rätselhafte Bilder gesehen.«
»Gesichte sagen die Wahrheit«, erwiderte die Muhme. »Egal, wie geheimnisvoll sie auch sein mögen.«
»Monster und Riesen?«, sagte Kunz. »Und eine Kröte, aus deren Maul eine Frau spaziert? Ganz ehrlich – ich hatte schon bessere Albträume.«
Da erwachte Sneewitt. Sie stützte sich auf einen Unterarm und murmelte: »Spinnräder, die wie ein Sturmwind sausen … Im Dorf auf der Hohen Heide gab es kein Stroh … Aber Gold gibt es in Hülle und Fülle … Was meinst du dazu, Kunz?«
»Warum fragst du
mich
das?«, gab Kunz mürrisch zurück.
Sneewitt musste niesen. »Mist. Ich habe mich erkältet.« Sie rieb ihre Nase, sah Kunz an und sagte: »Du hast früher Stroh zu Gold gesponnen.«
»Ja, denn ich habe mich gern modisch gekleidet, und mein Schneider war teuer«, fauchte Kunz. »Aber ich habe die Vergangenheit begraben. Ich habe mit Stroh und Gold nichts mehr zu
Weitere Kostenlose Bücher