Der Eiserne König
gleich. Aber Sneewitt sagte: »Wie langweilig. Ich begleite euch.« Sie band das feuerrote Haar hinter dem Kopf zusammen, sah die vier Männer aus ihren pechschwarzen Augen an und fügte hinzu: »Außerdem brauche ich einen Schnaps, um diese Hexen zu vergessen. Aber …« – sie hob einen Zeigefinger – »… lasst die Finger von den Mädchen.«
»Meinetwegen«, sagte Hardt auf dem Weg nach unten. »Ohne Gold geht sowieso nichts.«
»Ich könnte Sanne ein rührseliges Märchen erzählen«, schlug Horn vor. »Dann weint sie vor dem Einschlafen vielleicht ein paar Perlen.«
»Ja, tu das«, sagte Kunz. »Schimpf auf unsere Verdorbenheit und stell dich als Tugendbold dar. Wir lassen anschreiben, bis du zurückkommst.«
Sie fanden einen freien Tisch und bestellten Bier, Schnaps und etwas zu essen. Kurz bevor das Essen kam, drängelte sich Horn durch das Gewimmel der Gäste zu ihnen durch. Er zwängte seine Wampe schnaufend hinter die Tischkante.
»Und?«, fragte Kunz erwartungsvoll.
Horn legte sein zum Bündel geschnürtes Schnupftuch auf den Tisch; es war voller Perlen.
»Welches Märchen hast du ihr erzählt?«, fragte Sneewitt.
»‹Die goldene Ente‹«, antwortete Horn. »Sie hat vor Rührung Ströme von Perlen vergossen. Nach dem glücklichen Ende ist sie sofort eingeschlafen.«
»Der Abend ist gerettet!«, rief Hardt und stieß mit Hans an.
Sie aßen, bis sie zu platzen drohten, und sprachen auch Bier und Schnaps gehörig zu. Am Nachbartisch prahlte ein Fischer mit dem Fang eines riesigen Welses.
»Seine Barteln waren lang wie Blindschleichen«, behauptete er zur Erheiterung seiner Zechkumpane.
»Im Welsfluss gibt es keine Welse«, erwiderte einer, der eine lange Meerschaumpfeife paffte. »Sie waren schon für unsere Urgroßväter eine Legende.«
»Vielleicht kehren sie ja zurück«, rief der Fischer erbost.
»Eher heiße ich Hickelte Hunkepuus«, lispelte ein Hagerling und entblößte beim Lachen schwarze Zahnstümpfe.
»Eher erwacht der Eiserne König in seinem Grab«, sagte ein wohlhabend wirkender Biedermann, der ein Seidenwams mit Goldknöpfen trug.
Die fünf Gefährten tauschten Blicke.
»Und ich sage euch: Die Welse kehren zurück!« Der Fischer ließ eine Faust auf den Tisch sausen.
»Tja«, bemerkte ein vierter, in das Purpur der Quacksalber und Wahrsager gehüllter Zecher. »Die Rückkehr der Welse wäre ein Omen.«
»Ein Omen?«, fragte der Biedermann. »Wofür?«
»Die Welse sind heilig, denn sie waren immer mit den guten Mächten im Bunde«, sagte der Quacksalber. »Ihre Rückkehr könnte bedeuten, dass Gefahr droht.«
»Gefahr?«, erwiderte der Biedermann und strich mit feisten Fingern über sein Wams. »Unsinn! Wir leben in Saus und Braus und können alles tun, wonach uns der Sinn steht. In Pinafor herrschen goldene Zeiten, und so wird es bis in alle Ewigkeit bleiben.«
»Nichts bleibt so, wie es ist«, murmelte der Fischer und leerte seinen Schnaps. »Das ist das Einzige, worauf man sich in diesem irdischen Jammertal verlassen kann. Glaubt mir: Die Welse kehren zurück.«
»Dann zeig uns dein Wundertier«, forderte ihn der Mann mit der Meerschaumpfeife auf.
Der Fischer sah ihn aus geröteten Augen an. »Ich habe ihn wieder in den Fluss gesetzt«, sagte er.
»Hah!«, rief der Biedermann triumphierend. »Das nenne ich Aufschneiderei.«
Sneewitt hatte aufmerksam gelauscht. Nun flüsterte sie Hans ins Ohr: »Schade, dass Reineke Fuchs und Meister Grimbart nicht hier sind. Sie könnten uns sicher etwas über die Welse erzählen.«
Horn fing den Blick der Wirtin auf und reckte zum Zeichen für Schnapsnachschub fünf Finger.
Am anderen Nachbartisch saßen mehrere schwarzbärtige, vierschrötige Köhler aus dem Greting, die in der Herberge Proviant kaufen wollten.
»Utz ist weg«, murmelte einer. »Sein Meiler qualmte, als ich kam, aber er war wie vom Erdboden verschluckt.«
»Genau wie Bodo, Wulf und Golo«, sagte ein anderer. »Alle spurlos verschwunden.«
»Irgendein Ungeheuer treibt im Greting sein Unwesen«, sagte ein dritter.
»Das muss der Teufel sein.«
»Der Teufel ist niemand anderer als der Eisenhans.«
»Der Eisenhans war ein verwunschener König. Wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute glücklich und zufrieden auf seiner Burg im Nordland.«
»Dann sind es die Karontiden.«
»Schwachkopf! Diese Biester sind nur Albtraumausgeburten von Hasenfüßen.«
»Niemand weiß«, erwiderte der erste Köhler, »welche Wesen in den Schlünden und Abgründen
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