Der Eiserne König
des Gretings hausen.« Als er merkte, dass Kunz zuhörte, zog er ein grimmiges Gesicht und verstummte.
Kunz drehte sich wieder zu seinen Gefährten um. »Das sind ja schöne Aussichten«, murmelte er. »Karontiden, Teufel und verschleppte Köhler.«
»Nicht zu vergessen der Eisenhans«, sagte Sneewitt spöttisch. »Aber ein gut gezielter Pfeil fällt jedes Ungeheuer.«
»Ich beneide dich um deine Zuversicht«, brummte Horn mit besorgter Miene.
Die Wirtin stellte fünf Schnäpse auf den Tisch und sammelte die Teller ein. Als sich die Gefährten zuprosten wollten, trat eine der Dirnen hinter Hans und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Na, ihr Zuckerschnuten?«, fragte sie kokett. »Kann ich euch verwöhnen?« Sie ging zu Hardt weiter und drückte ihren Busen gegen seinen Hinterkopf.
»Oh, oh! Vorsicht«, sagte Sneewitt. »Du bringst seine Frisur durcheinander.«
Hardt räusperte sich verlegen und lief rot an.
Hans stutzte wieder; es war das Mädchen, das auf der Treppe gesessen hatte und ihm seltsam vertraut vorgekommen war. »Ich …«, begann er.
Die Dirne grinste ihn an. »Kostet nur ein Goldstück«, sagte sie.
»Wir bezahlen mit Perlen«, warf Kunz ein.
»So?«, fragte sie. »Dann kostet es nur zwei Perlen.«
»Ich … kenne dich … von irgendwoher«, stotterte Hans.
Die Dirne stülpte die Unterlippe vor. »Das höre ich nicht zum ersten Mal, Süßer«, sagte sie verdrossen und sah sich in der lauten, verqualmten Schankstube um. Als ihr ein Köhler an die Taille fasste, schlug sie seine Hand weg. »Wasch dich erst, du Schwarzdrossel«, fuhr sie ihn an. Dann sagte sie zu Hans: »Na? Zwei Perlen, und ich erfülle dir jeden Wunsch. Oder ist diese mürrische Person dein Weib?« Sie zeigte auf Sneewitt.
»Oh, oh! Vorsicht«, sagte Hardt. »Du bringst ihre Gemütsruhe durcheinander.«
»Verkauf deine Kleinode an einen Köhler«, zischte Sneewitt, deren pechschwarze Augen gefährlich glitzerten.
»Immerhin verschenke ich mich nicht«, schnippte die Dirne.
Hans rätselte weiter, woher er sie kannte. Sie hatte graublaue Augen, ihre blonden Haare waren zu Zöpfen geflochten. Sein Blick fiel auf ein Muttermal an ihrem Hals; es hatte die Form einer Bohne. Da durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Er wurde blass und klammerte sich an die Tischkante.
»Was hast du?«, fragte Sneewitt.
»Ich …«, keuchte Hans. »Du …« Er starrte die Dirne an.
»Was ist? Bin ich dir nicht gut genug?«, verlangte sie pikiert zu wissen.
»Gretel …«, flüsterte Hans. »Du bist … meine Gretel.«
Die Dirne wich entsetzt zurück. »Oh!«, stieß sie hervor. »Oh, nein! … Hänsel?« Sie starrte Hans lange an. Dann machte sie kehrt und drängelte sich durch die Gäste davon, als säße ihr ein Unhold im Nacken.
»Holla!«, schrie einer der Köhler, der sein Bier verschüttete.
»Wer ist die Frau?«, fragte Hardt, der verwirrt seine Haare glattstrich.
Hans trank hastig den Schnaps. Er war totenbleich. Nachdem er sich den Mund abgewischt hatte, antwortete er heiser: »Sie ist meine Schwester … Sie ist meine Gretel, die mich damals, als wir noch Kinder waren, im Lohwald vor der Hexe gerettet hat. Sie war jahrelang verschollen. Und jetzt …« – er fasste sich an die Stirn – »… verdingt sie sich hier als Dirne.« Er war wie gelähmt.
Während des betretenen Schweigens, das am Tisch eintrat, schwoll der Lärm in der Schankstube zu neuer Lautstärke an. Männer grölten, Frauen lachten, irgendjemand sang eine der in Pinafor beliebten Balladen; ein Glas zersprang, Stuhlbeine knarzten. Jeder amüsierte sich, niemand verschwendete einen Gedanken an die Gefahr, die Pinafor drohte.
Hans schlief noch schlechter als im Haus der weisen Weiber. Er träumte von seiner Gefangenschaft bei der Hexe, warf sich verschwitzt im Bett hin und her und rief den Namen seiner Schwester. Er erwachte mit heftigen Kopfschmerzen und ausgedörrtem Mund. Da sein Waschkrug leer war, ging er auf den Hinterhof und hielt seinen Kopf unter die Pumpe. Danach setzte er sich auf eine Bank vor dem Haus und sah zu, wie der Morgen graute. Während er gegen seinen Kater ankämpfte, wurde gegenüber die Tür des Schweinekobens aufgestoßen. Ein Mädchen taumelte heraus und fiel in den Matsch. Dann erschien die Wirtin und schrie: »Erst kümmerst du dich nicht um die Männer, dann verkriechst du dich bei den Säuen. Wer seine Arbeit nicht macht, hat bei mir nichts zu suchen. Lass dich hier nie mehr blicken!« Sie warf dem Mädchen ein
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