Der Eiserne König
»Entweder wir stellen uns hier den Kultknechten, oder sie scheuchen uns in einen Hinterhalt.«
»Wir müssen trotzdem versuchen, die Esche zu finden«, sagte Hans und gab Kunz einen Schubs.
»Fass mich nicht an!«, schrie er. »Ich gehe ja schon.«
Der Gang führte sie immer tiefer. Einmal war er niedrig und schmal, dann wieder hoch und so breit, dass sie zu zweit nebeneinander gehen konnten, und schließlich erreichten sie eine Gabelung. Sie standen im letzten Lichtschein der Fackel da und überlegten, ob sie sich nach rechts oder links wenden sollten.
»Ich kann Wasser wittern«, sagte der Dachs. »Der linke Gang führt dorthin.«
»Also links«, sagte Sneewitt. »Ich habe viel Staub geschluckt und brauche etwas zu trinken.«
In diesem Augenblick erlosch die Knochenfackel. Finsternis hüllte die Gefährten ein.
»Na, großartig …«, seufzte Hardt.
In der Ferne ertönten ein Scheppern, dann ein Klirren. Allem Anschein nach war auch einer der Kultknechte gestürzt.
Sie wandten sich eilig nach links. Der Boden des Gangs, der schnurstracks geradeaus führte und dann in rechten Winkeln abwechselnd zur einen und anderen Seite abbog, war so eben, als hätte man ihn gepflastert. Die Gefährten liefen im Trab; Horn schnaufte, hielt aber mit. Nach einer Weile hellte sich die Finsternis auf – im Zwielicht, das von oben durch Spalten fiel, sahen die Gefährten, dass der Gang nicht gepflastert, sondern wie glattgewaschen war. Nach zahlreichen weiteren Biegungen führte eine treppenartige Felsformation in die Tiefe. Unten angekommen, standen die Gefährten vor einem kreisrunden Teich, der ebenso schwarz war wie die Augen Sneewitts.
Sie fiel auf die Knie und schöpfte Wasser mit hohlen Händen. Auch Dachs und Fuchs tranken durstig.
»Ob die Kultknechte uns in den linken Gang gefolgt sind?«, flüsterte Sanne.
Hans spitzte die Ohren. »Ich höre nichts«, sagte er. »Aber wir müssen weiter auf der Hut sein.«
Meister Grimbart hob die Schnauze aus dem Teich; Wasser tropfte von seinen Lefzen. »Wir sind nicht allein«, murmelte er. »Ich spüre ein Lebewesen …«
Kunz zog den Zweihänder leise aus der auf seinem Rücken befestigten Halterung.
»Du hast recht«, sagte Reineke Fuchs. »Aber … es ist kein Säugetier.«
»Vielleicht ein Ungeheuer aus den Schlünden des Gretings?«, fragte Hardt. »Verflucht!« Er griff nach seinem Dolch.
»Nein«, erwiderte der Dachs. »Es ist friedfertig.«
»Und es lebt in diesem Teich«, fügte der Fuchs hinzu.
Ein Platschen ertönte. Die Gefährten fuhren herum.
Barbera trat vor die drei Feen, die mit zugenähten Mündern und an die Wand geketteten Händen auf dem Boden saßen. »Da ihr so einsam seid, dachte ich, dass ihr euch über Besuch freut«, sagte sie.
Die halb verhungerten Feen zuckten mit keiner Wimper. Ihre blinden Augen starrten ins Leere.
Barbera gab einer Fee eine schallende Ohrfeige. »Ich würde euch sofort töten«, sagte sie. »Aber das ist Sache des Eisernen Königs. Sobald er erwacht ist, wird er sich euer annehmen.«
Die Feen regten sich immer noch nicht.
Da trat die Jungfer ein. Ihr Blick zuckte zwischen Grimm und Barbera hin und her. »Uch-chah«, flüsterte sie verächtlich.
Barbera drehte sich zu ihr um. »Was ist?«, fragte sie herrisch. »Willst du wieder meckern?«
Die Jungfer knirschte mit den Zähnen. Dann verkündete sie: »Die Karontiden sind bereit.«
»Gut. Und wo steckt die Heldenschar?«
Die Miene der Jungfer hellte sich auf. »Ha-haaach! Ein Bote der Kultknechte hat gemeldet, dass sie sich der Höhle der Hallenden Tropfen nähern.«
Barbera schlang sich einen Überwurf aus weißem Hermelin um die Schultern. »Dann sitzen sie bald in der Falle«, sagte sie zu Grimm.
»Ja-ha-haach!«, stöhnte die Jungfer und bleckte ihre spitzen Zähne. »Frisches Blut!«
»O nein«, erwiderte Barbera. »Ihr bekommt die Gefangenen, nachdem wir mit ihnen fertig sind – falls danach noch etwas von ihnen übrig ist.«
Die Jungfer fauchte so wütend, dass Grimm das Schwert zog. Die beiden maßen einander mit Blicken. Schließlich lachte die Jungfer meckernd. »Schon recht. Huh-hah! Schon recht«, sagte sie. »Ein bisschen Marter schadet nicht. Das fördert die Durchblutung, und das Fleisch ist hinterher auch zarter.«
Grimm stieß das Schwert wieder in die Scheide. Nachdem sie den Kerker verlassen und die Tür verriegelt hatten, hoben die drei blinden Feen den Kopf. Ihren Kehlen entrang sich ein hohler, verzweifelter Laut des
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