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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wandern, mustert einen nach dem anderen, besonders gründlich den von Schläuchen durchflochtenen Mann, der als einziger wenigstens einen Lidschlag lang seinem Blick standhält. Dann greift er sich den vor Angst halb toten Jungen, der aufschreit und auf die Knie fällt. – … und zwar an diesem Rädelsführer, schließt der Aufseher.
    In dem seinen Worten folgendem Moment lähmender Stille winkt er zwei Gendarmen, und bei ihrem ersten Schritt bricht wieder Tumult aus. Die Gendarmen beginnen, auf den Jungen einzuprügeln.
    Wie bei dem Gesang der Stiltspear erlebt Judah die Zeit verlangsamt, ein träger, zäher Fluss. Er verfolgt das Auf und Ab der Gummiknüppel, das Fuchteln des Jungen, der seinen Kopf schützen will, seine zusätzlichen Extremitäten aus Chitin. Er hat Muße, den Flug der Vögel zu beobachten. Er hat Muße zum faszinierten Studium der Gesichter in der Menge.
    Auf den meisten malt sich entsetzte Empörung. Die Leute können den Blick nicht abwenden. Der Mann, der aussieht wie vom Leib einer Riesenschlange in fantastischen Windungen durchwachsen und umflochten und der der Beschützer des Jungen war, beißt die Zähne zusammen. Die Schienenleger sehen offen bestürzt aus, die Tunnelbauer starren betreten und beklommen in den Schatten von Winkeln und Felsvorsprüngen. Wohin Judah auch schaut, während die Schläge fallen und die Gendarmen die Menge bändigen, sieht er Unschlüssigkeit.
    Alle sind unschlüssig und angespannt, Blicke fliegen hin und her, irren zu dem gellend schreienden Remade-Jungen, zu den Knüppeln, zum Nebenmann und irgendwohin. Sogar die Gendarmen zögern. Jeder Hieb fällt etwas langsamer als der vorhergehende, und ihre Kameraden heben die Gewehre, ohne recht zu wissen, was sie tun sollen, und der Chor der Empörung schwillt an.
    Judah sieht Ann-Hari, die, von ihren Freundinnen zurückgehalten, mit Krallenfingern die Luft zerfetzt und vor Wut zu explodieren droht. Man verharrt wie vor einem entscheidenden Schritt, vor dem Sprung in kaltes Wasser, und immer noch schaut man zu diesem, zu jenem, wartet, wartet, und Judah spürt, wie das Ding in ihm sich reckt und die Zaudernden anstößt, und er muss lächeln, sogar in dieser von Gewalt geschwängerten Hitze, und sie handeln.
     

     
    Nicht Judah tut den ersten Schritt – er tut nie den ersten Schritt –, nicht der Schlangen-Remade oder Thick Shanks oder Shaun, sondern ein völlig Unbekannter in der vordersten Reihe der Tunnelgräber. Der tritt vor und hebt den Arm. Er scheint sich gegen eine Spannung zu stemmen, die unsichtbar über der Szene liegt, zerreißt sie und strömt hinein in die Zeit wie Wasser, das seinen Meniskus durchbricht, und andere kommen mit ihm, und da läuft Ann-Hari, die sich losgemacht hat, und die Remade rücken vor, um die Knuten und Knüppel der Gendarmen abzufangen, und auch Judah stürmt los und schlingt den von harter Arbeit gestählten Arm um den Hals eines Uniformierten.
    Judahs Ohren sind erfüllt vom Rauschen des eigenen Blutes, er hört nichts außer dem Tosen seiner Wut. Er kämpft, wie er es bei Schlägereien am Schienenstrang gelernt hat. Statt zu hören, spürt er das Abfeuern von Schüssen, als Druckwellen in der Luft. Energie brodelt in ihm in Gestalt von Kadabras, und als er einen Gendarmen packt, macht er in einer instinktiven Eingebung aus dem Hemd des Mannes einen Golem, der seinen Körper einschnürt. Judah läuft und kämpft, und was er berührt, das ohne Leben ist, dem verleiht er sekundenlanges Quasi-Leben und zwingt es, seinen Willen zu tun, Mitstreiter zu sein.
    Die Gendarmen haben Steinschlossgewehre und Peitschen, doch sie sind zahlenmäßig unterlegen. Sie haben Thaumaturgen, aber nicht vom Kaliber der Miliz: Die Streikenden sehen sich nicht mit ausgespienen Batzen reiner Energie oder Transformationen konfrontiert, sondern lediglich mit einfachen Beschwörungen, die sie abschmettern und überleben können.
    Bei den Schienenlegern sind mehr Kaktusleute als in den Reihen der Aufseher. Sie waten zyklopisch durch die Reihen der TRTler, ergreifen sie mit grünen Fäusten, schmettern sie zu Boden. Sie geben ihren Freunden Deckung: Die Gendarmen sind nicht mit Köpfern bewaffnet, deren Geschosse allein ihnen gefährlich werden können.
    Der Schlangen-Remade zieht den misshandelten Jungen aus dem Gefahrenbereich. Er nimmt Kohle aus der Tasche und stopft sie sich in den Mund, der Staub schwärzt seine Lippen. Dann stürzt er sich in den Kampf. Die Gendarmen, die noch auf den Beinen

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