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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Geschosshülsen an den Schwanz banden. Toro ging vorbei, machte keine Anstalten, sich zu verstecken, und die Kinder zeigten mit dem Finger auf ihn und riefen: Stierkopf, Stierkopf, wo gehst du hin? Wer muss dran glauben?
    Cutter rätselte, ob sie glaubten, Ori sei ein Mann in einer seltsamen Uniform, oder ob ihnen klar war, dass sie in dieser Nacht den raravischen Banditen in eigener Person gesehen hatten. Möglicherweise waren im exotischen Panoptikum des Kollektivs Götter und das einzigartig Geheimnisvolle keiner Ehrfurcht würdig.
    Rahul eilte mit seinem schaukelnden Sauriergang voran, Messer in beiden Menschenhänden, die Reptilkrallen gespreizt. »Kommt, kommt schnell«, drängte Qurabin.
    An jeder Mauer mit Graffiti machte Ori Halt und betrachtete sie mit den fluoreszierenden Augen des Stierkopfhelms. Mit einem angestrengten Grunzen machte er die Beine grade, stemmte sich gegen Nichts und tauchte wieder auf in einem neuen Riss, einige Meter weiter vorn. Das ging so schnell, dass Cutter fast sicher war, seine Füße hätten noch hier gestanden, während der Kopf schon dort herausschaute.
    »Er ist hier«, sagte Ori. »Trauka Station. Kommt.«
     

     
    Keine Meile entfernt. Der Weg führte in der Nähe des Uferdamms entlang über einen seit langem toten Markt. Nur die Gerüste der Stände waren noch da, zusammengesteckte Metallrippen, eine lange Reihe von Skeletten.
    Sie waren nur eine der vielen Gruppen unterwegs in dieser Nacht. Nach Trauka hinein durch schmale, alte Straßen, eine Mischung unansehnlicher Bauten, dekoriert mit Parolen wie Freiheit für das Kollektiv und Fick dich, Stem-Fulcher, Letzteres durchgestrichen und in anderer Schrift ergänzt um den Kommentar: Erledigt, Kumpel. Toro verschwand, erschien wieder in der nächsten Straße und winkte, zerriss Welthaut, um sich der Bewegungen des Verfolgten zu vergewissern, kehrte zurück zu den Gefährten, um ihnen Bescheid zu geben. Als würden sie von einem Dutzend überall verteilter gleich aussehender stierhäuptiger Männer durch die Stadt gelotst.
    Das rauch- und limbusfarbene Blut fiel in zähen Tropfen von Toros Helm, die Hörner sprühten Funken. Die wiederholte Vergewaltigung von Ontologie belastete die thaumaturgischen Energiekreise. »Kommt«, sagte Toro wieder und winkte. »Gleich hier, um zwei Ecken, links, links, er geht weiter, kommt schnell.«
    Judah blieb stehen, stellte hastig Keramikonduktoren und einen Trichter an die dunkelste Stelle unter einem breiten Sims. Er stieß ein beschwörendes Wispern aus – nein, nicht eine Inkantation – er hatte Cutter erklärt, der Unterschied wäre entscheidend –, nicht eine Inkantation, sondern eine Kreation, eine Strukturierung von Materie oder Ideomaterie. Cutter schaute zu, und Judah sammelte ein. Cutter überlief ein ehrfürchtiger Schauer, als er den Mann beobachtete, für den er eine so animalische Zuneigung empfand, unzweifelhaft der mächtigste Golemist in New Crobuzon, sein autodidaktischer Magus.
    Um sie herum vertieften sich die nächtlichen Schatten. Judahs Mechanismus saugte die Dunkelheit an. Sie geriet in Bewegung, ein düsteres Plasma, wurde herangezerrt, eine träge, widerspenstige Masse, verdichtete sich zu einer Wolke aus Unlicht und sank kreiselnd in den Trichter hinein, wie Wasser in einen Abfluss. Die Ziegel, die sie zurückließ, waren ein physikalischer Affront, ein Verstoß wider die Gesetze der Natur. Obschon kein Licht auf sie fiel, waren sie, ihrer Dunkelheit beraubt, deutlich sichtbar, wie von grellen Lampen beschienen, doch ohne Farben, ein messerscharf begrenztes Grau. Die Sackgasse war ein Ort geworden, wie er nicht sein durfte: unreflektierende, unhelle, unfarbige Sichtbarkeit in der finsteren Nacht.
    Schatten quollen aus dem Spitzende des Trichters, gerannen zu einer Form zwischen einem Körper und einer Öllache, eine Wesenheit aus Schwärze, nicht fest, aber unleugbar vorhanden, eine menschliche Gestalt aus Finsternis. Götter, das ist das Ergebnis deiner Studien?, dachte Cutter. Er hatte Judah schon Hunderte von Golems erschaffen sehen, aber niemals einen derart unkörperlichen. Judah hob die Hände. Der Schattengolem richtete sich auf. Nahezu drei Meter Silhouette. Er trat in die Nacht und war dort halb sichtbar, Schwärze vor schwärzerem Hintergrund, die sich bewegte wie ein Mensch.
    Judah raffte seine Ausrüstung zusammen und flüsterte: »Los!« Mit diesem Wort war er schon an seinen Gefährten vorbei, die, sprachlos gemacht von dem Vorgang, dessen Zeugen

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