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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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zusammenraffen konnten. Gemeinsam mit den Flex’ibilis zog er sich dann hinter die Bühne zurück, vorbei an Handgemengen, die mittlerweile hauptsächlich vom Alkohol beflügelt waren, ohne den Zündstoff politischer Animositäten, der für die richtige Inbrunst sorgte.
    Durch den Nebenausgang gelangten sie in eine Gasse, mehr oder weniger blessiert, aber lachend, eine Schar Theaterleute, die Kostüme in Reisesäcke stopften, und ein oder zwei Sympathisanten wie Ori. Bis vor ein paar Minuten hatte es genieselt, aber die Nacht war mild und die Feuchtigkeit mutete an wie aus den Poren der Stadt gequollener Schweiß.
    Petron Carrickos, der der Erzähler gewesen war, riss den falschen Schnurrbart ab, der seinen Geist in Klebstoff auf der Oberlippe hinterließ, und pappte ihn auf das einzige Plakat in der Gasse, was dem dort mit seinem Sermon angekündigten Revivalisten buschige Augenbrauen bescherte. Ori ging mit Petron und etlichen anderen in Richtung der Cadmium Street. Sie wollten einen Bogen schlagen und zur Salacus Field Station gelangen, ohne am Eingang vom Follibecker vorbeizukommen.
    Es war spät, aber nicht zu spät, und wo man von Salacus nach Howl Barrow gelangte, wimmelten die Straßen von Nachtschwärmern. An den Ecken lungerten Milizzer. Ori drängte sich durch späte Schaufensterbummler und Theaterbesucher, vorbei an Musikliebhabern vor Voxiterator-Buden; ein paar Golems stakten umher wie riesenhafte Marionetten, gekennzeichnet mit der Schärpe ihres Besitzers. Kritzeleien an Mauern. Illegale Galerien und Theater, Künstlerkolonien – Graffiti beschrieben den Weg jedem, der sie deuten konnte. Salacus Fields selbst wurde erobert von Wochenend-Bohemiens. Immer schon hatte es die Gutbetuchten mit dem Drang nach unten gegeben, ungeratene Sprösslinge aus gutem Hause, die Befreiung suchten oder Auflösung im Rausch, aber neuerdings waren ihre Besuche befristet und ihre Transformationen touristisch. Ori empfand Verachtung. Maler und Musiker zogen aus, Agenten und Kaufleute zogen ein, und die Mieten stiegen himmelhoch, obwohl die Wirtschaft stagnierte. Also weiter nach Howl Barrow.
    Unter den gallegelben elyktro-barometrischen Reklameschriften brodelte in den Straßen das Leben. Ori nickte den Gesichtern zu, die er von Versammlungen oder Aufführungen her kannte – eine Frau bei der Tür des Silberschmieds, ein untersetzter Kaktusmann, der Handzettel verteilte. Backsteinmauern sackten, zeigten ihr Alter mit Wammen und Embonpoints, neigten sich Haus an Haus, ausgeflickt mit Eisen und Beton, extravagante Anstriche und Schneckenlinien und Obszönitäten, und darüber hinaus und in den Himmel ragend Minarette und Lauertürme der Miliz und Hochhäuser. Es ging auf Mitternacht, und die Straßen wurden leerer.
    Mit der Hochbahn zwischen Dächern zur Sly Station, den Bahnsteig wechseln und Freunden gute Nacht wünschen, bis auch Petron nach Mog Hill umgestiegen war und Ori allein zwischen nächtlichen Reisenden zurückblieb, die auf den Sitzbänken hingestreckt lagen und Gin ausdünsteten. Er ging an einigen Schichtarbeitern in Overalls vorbei, die sich abwandten, um die Schnapsbrüder nicht sehen zu müssen. Ori setzte sich neben eine ältere Frau und folgte ihrem Blick durch die schmutzige Scheibe in die Weite der Stadt, eine Moorlandschaft mit Gebäuden und einer Unzahl flimmernder Irrlichter. Der Zug überquerte den Fluss. Die Frau blickte auf nichts Spezielles, merkte Ori, und es fesselte auch seine Aufmerksamkeit – nur ein Flackern von Lichtern an einer Kreuzung, ein Defekt der Stadt.
     

     
    Die meisten der Fenster an Oris Straße in Syriac hatten keine Gardinen, und wenn er aufwachte, schaute er hinaus und sah im Schein von Gaslaternen riesenhafte reglose Gestalten in ihren Häusern stehen, schlafend. Die Straße war ein Wohngebiet der Kaktusleute. Er war Untermieter einer freundlichen, brummigen Kaktusdame, die mühelos mit einer grünen Hand seine Taschen die Treppe hinauftrug, als er eingezogen war.
    Die Frühzüge ratterten schwach erleuchtet an den oberen Fenstern vorbei. Sie gingen nach The Downs im Süden oder weiter nach Norden, ihrem riesigen Hauptbahnhof entgegen, dieser Synapse verstörender Architektur in der Zange zweier Flüsse, Perdido Street Station.
    Das Geschäft der Nacht nahm seinen Gang. Die Luft war warm und feucht, sie löste Kleister auf und nagte an den Vorsprüngen des Mauerwerks. Familien nächtigten mehr schlecht als recht in Lagerschuppen am Rand von Bonetown. Katzen streunten

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