Der eiserne Thron
Kinder, fünf und sechs Jahre alt und nach allen Maßstäben bereits eine heilige Plage. Nicht, daß sie zu
ihrer Zeugung miteinander hätten schlafen müssen – der
Nachwuchs war das Produkt künstlicher Befruchtung und in
Brutkästen ausgetragen worden. Die beiden Kinder waren von
Ammen aufgezogen worden, die beiden Familien genehm
gewesen waren, und zur Zeit besuchten sie Internate, für die
das gleiche galt. Loyalität zu den Clans war nicht angeboren,
sondern mußte anerzogen werden, und nach der Überzeugung
der Familien hatte man bereits früh damit zu beginnen. Und
man durfte nicht riskieren, daß die Eltern sich in die Erziehung einmischten.
Finlay dachte oft wehmütig an seinen Sohn und seine Tochter. Er leistete ihnen Gesellschaft, so oft er nur konnte oder
durfte, und er hatte das unbestimmte Gefühl, daß er den Kindern ein guter Vater hätte sein können – wenn man ihn nur
gelassen hätte. Aber wie so viele andere Dinge in diesen Tagen war es NICHT GESTATTET. Finlay seufzte leise und
blickte sich im Saal um. Er suchte nach Ablenkung, vielleicht
auch nach Inspiration. Seine Kleidung war auf der absoluten
Höhe der Mode, vom schockig pinkfarbenen Frack bis hin
zum mit fluoreszierender Maskara bedeckten Gesicht und
dem schulterlangen, leuchtend bronzefarben metallisierten
Haar. Seine Krawatte aus mitternachtsblauer Seide war modisch schlecht gebunden, als Beweis, daß er sie selbst geknüpft hatte. Auf dem Kopf trug Finlay eine pechschwarze
Samtkappe, deren einziger Schmuck aus einer großen Pfauenfeder bestand, und er betrachtete die umgebende Szenerie
durch einen juwelenbesetzten Kneifer, den er zwar nicht benötigte, der seiner Montur jedoch – seiner Meinung nach –
den letzten Schliff gab. An der Hüfte trug er außerdem, wie
der Brauch es gebot, ein langes Schwert mit reich verziertem
Griff und prachtvoller, mit Edelsteinen besetzter Scheide.
Außer Finlay selbst wußte niemand, daß die Klinge, die sich
in der Scheide verbarg, messerscharf und nicht im mindesten
als Schmuck oder Zierde gedacht war.
Die Hochzeitszeremonie sollte erst in etwa einer halben
Stunde stattfinden; trotzdem war der Ballsaal bereits gerammelt voll. Helle Farben stachen ins Auge, wohin Finlay auch
blickte, nur hier und da von den flackernden Hologrammen
derer unterbrochen, die nicht persönlich anwesend sein konnten. Die meisten Familienangehörigen lebten über das gesamte Reich verstreut und hatten Geschäfte zu erledigen, aber sie
besuchten die Feier zumindest im Geiste, um ihre Solidarität
zu zeigen und den neuesten Klatsch aufzuschnappen.
Eine Stimme übertönte scheinbar mühelos den Lärm der
allgemeinen Unterhaltungen, und ohne hinzusehen wußte Finlay, daß sie seiner Frau gehörte. Adrienne. Sie besaß eine dieser Stimmen, die durch alles hindurchgingen, wie Laserstrahlen. Nicht zum ersten Mal kam Finlay der Gedanke, daß er ein
Vermögen verdienen könnte, wenn es ihm endlich gelänge,
aus ihrer Stimme eine Waffe zu konstruieren. Langsam und
resigniert wandte er sich um, und wie konnte es anders sein?
Dort stand seine Gemahlin und hielt hof vor einer Gruppe
niedrigerer adliger Ehefrauen, die allesamt den Eindruck erweckten, als wären sie lieber woanders. Ganz egal wo.
Adrienne war durchschnittlich groß und nur wenig überdurchschnittlich schwer, aber ihre Gegenwart bildete in jeder
Versammlung den – sowohl visuell als auch audibel – schrillen Mittelpunkt. Sie trug ein langes schwarzes Kleid, teilweise
wahrscheinlich weil sie dachte, daß die Farbe ihre vornehme
Blässe betonte, aber hauptsächlich wohl aus dem Grund, daß
sie auf diese Weise stets behaupten konnte, noch immer wegen ihrer Hochzeit mit Finlay Feldglöck zu trauern. Es zeigte
so viel von der Schulter, wie nur irgendwie möglich, ohne daß
es haltlos bis zu ihren Knien hinabrutschte, und die Seiten
waren geschlitzt bis hinauf zu ihren Hüften. Es schien, als
würde ein kräftiges Niesen völlig ausreichen, um das Kleidungsstück davonzublasen.
Adrienne besaß ein scharfgeschnittenes Gesicht mit deutlich
hervortretenden Knochen und wütendem Schmollmund. Ihre
blitzenden Augen standen ein wenig zu eng beieinander. Sie
hatte die kleinste Stupsnase, die man für Geld nur kaufen
konnte, und ihr lockiges Haar glänzte hell und golden wie
eine Signalboje. Ihre Bewegungen waren plötzlich und abgehackt wie die eines umherstolzierenden Huhns, und sie behandelte jede Konversation wie einen Feind, den
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