Der eiserne Thron
Augenblicks. Nur ihre extrem schwach entwickelte Konzentrationsfähigkeit und die angeborene Faulheit bewahrte die meisten der Anwesenden vor vollkommener Dekadenz, die in Wirklichkeit ein gutes Stück harter Arbeit war,
von der die meisten gar keine Ahnung hatten. Finlay verachtete seine Standesgenossen. Sie wußten nichts über Mut, und
die wahren Extreme von Leben und Tod kannten sie nur aus
ihren sorgfältig orchestrierten Duellen, bei denen häufig
schon die erste Schramme und der erste Tropfen Blut ausreichten, um der Ehre Genüge zu tun. Ehre! Finlay beobachtete sie mit leerem Lächeln auf dem Gesicht und Verachtung im
Herzen.
Verzweifelt suchte er nach einer Ablenkung von seinen düsteren Gedanken, und sein Blick blieb schließlich an den
Wolfs hängen. Der alte Wolf selbst war nicht anwesend, genausowenig wie seine junge Frau; eine höfliche Geste, die
ihm allerdings ermöglichte, offiziell jedes Verhalten zu ignorieren, das die Neutralität der Veranstaltung zu stören vermochte. Aber Valentin, Stephanie und Daniel waren da, und
alle drei erweckten in Finlay den Eindruck, als wären sie lieber woanders. Er grinste schwach. Ja, sicher – die drei standen
kurz vor ihren eigenen Hochzeiten. Vermutlich hatte der alte
Wolf darauf bestanden, daß sie an der Feier teilnahmen, damit
sie einen Eindruck von dem sie erwartenden Schicksal gewannen. Stephanie und Daniel standen eng beieinander und
ignorierten ihre zukünftigen Ehepartner demonstrativ, die sich
nett miteinander unterhielten und prächtig zu amüsieren
schienen.
Valentin stand ein wenig abseits, allein wie immer, eine
große, schlanke, düstere Gestalt in einem pflaumenfarbenen
Rock und Kniebundhosen. Mit seinem langen dunklen Haar
und dem bemalten Gesicht machte er ganz den Eindruck eines
reichen und entsetzlich gelangweilten Sprößlings aus einem
nicht mehr ganz gesunden Geschlecht. Hinter der maskarabemalten Fassade und dem unechten Lächeln schien sein Gesicht freundlich, doch mit seinen Gedanken schien er ganz
woanders zu sein. Finlay gefiel die Vorstellung nicht, wo das
sein könnte. Valentin hielt kein Weinglas in der Hand. Wahrscheinlich gab es im gesamten Haus keinen Tropfen, der seinen hochentwickelten Geschmacksnerven standhielt.
Finlay beschloß, sich lieber selbst einen Gesprächspartner
zu suchen, bevor sich einer der wirklich langweiligen Gäste
zu ihm gesellte, und der Wolf war genausogut wie jeder andere. Außerdem faszinierte Valentin ihn auf geheimnisvolle
Weise. Sie waren beide gemeinsam zur Schule gegangen, aber
das war schon so ziemlich alles, was sie an Gemeinsamkeiten
besaßen, damals wie heute. Soweit Finlay sich erinnern konnte, war Valentin ein ganz normales Kind ohne besondere Gaben oder Talente gewesen, aus denen man hätte schließen
können, was einmal aus ihm werden mochte. Aber das traf für
ihn selbst wahrscheinlich ebenfalls zu. Er setzte sich in Bewegung und schlenderte lässig zu den Wolfs hinüber, als
würde er rein zufällig in ihre Richtung kommen. Er nickte und
lächelte grüßend nach rechts und links, jede Bewegung ein
Sinnbild der Eleganz. Nichts besonders Schwieriges. Eine der
ersten Lektionen, die man in der Arena lernte, war die völlige
Kontrolle jeder und aller Bewegungen. Die bewundernden
Blicke blieben ihm nicht verborgen, als er an den anderen
Gästen vorbeischlenderte, doch er verspürte lediglich Stolz
wegen seiner phantastischen Verkleidung. Sicher, er war extrem modisch angezogen; ein leuchtender Spiegel, in dem die
Leute nur das sahen, was sie zu sehen erwarteten.
Vor Valentin Wolf blieb er stehen und verbeugte sich
schwungvoll. Der Wolf nickte zur Antwort höflich. Das
schwere Make-up um seine Augen und der grell geschminkte
Mund stachen seltsam aus seinem bleichen Gesicht hervor.
Die Art und Weise, wie er sich geschminkt hatte, war schon
seit Jahren nicht mehr modern, aber anscheinend hatte Valentin einen Stil gefunden, der seiner inneren Natur entsprach,
und jetzt verspürte er eine Abneigung, sich wieder davon zu
trennen. Mit plötzlicher Klarheit überlegte Finlay, ob die aufgemalte Maske Valentins vielleicht eine ähnliche Täuschung
war wie seine eigene. Und wenn das der Fall war – welcher
andere, fremde Valentin verbarg sich hinter der Maske? Ein
beunruhigender Gedanke. Was auch immer hinter Valentins
Maske liegen mochte, es mußte verdammt anders sein, um das
zu überbieten, was der junge Wolf bereits im Alltag darstellte.
Finlay
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