Der eiserne Thron
einem massiven Schreibtisch
in Deckung. Der Schlitten krachte mitten in die Fahrzeuge der
Wolfs und explodierte in einem Feuerball, der die anderen
Schlitten verschlang. Minutenlang erschütterten Folgeexplosionen das Gebäude, als die Antriebe hochgingen, und ein
gefährlicher Regen aus Schrapnell fetzte durch den Gang,
durchsetzt mit weichen, blutigen Fetzen, die einmal die feindlichen Wolfs gewesen waren. Ein letzter Feuerball flammte
auf, der rasch wieder in sich zusammenfiel und erstarb.
Finlay hatte sich hinter dem Schreibtisch ganz flach auf den
Boden gelegt und die Hände fest auf die Ohren gepreßt, um
sie gegen den überwältigenden Krach der Explosionen zu
schützen. Als er bemerkte, daß plötzlich alles still geworden
war, nahm er zögernd die Hände herunter und erhob sich eben
weit genug, um über den Schreibtisch hinweg nach vorn zu
spähen. Überall im Korridor waren kleinere Feuer ausgebrochen. Tote und Verwundete lagen herum, und einige von ihnen brannten. Finlay beachtete sie kaum. Er kannte sie nicht.
Jetzt zählte nur Adrienne, und sonst nichts. Er erblickte ein
rotes Licht, das über der Tür blinkte, und wunderte sich warum er bisher keine Alarmglocken gehört hatte. Nur langsam
dämmerte ihm, daß auch sonst nichts zu hören war. Die
Alarmglocken schrillten wahrscheinlich sehr wohl, nur hatten
die Explosionen ihn vorübergehend taub werden lassen. Zumindest hoffte er, daß es nur vorübergehend war. Sein Bedarf
an Problemen war bereits gedeckt.
Schmerzerfüllt kämpfte er sich auf die Beine und stolperte
zu seinem eigenen Schlitten, der noch immer dort schwebte,
wo er ihn zurückgelassen hatte. Rings um Adrienne lagen
brennende Wrackteile auf der Pritsche, aber seine Frau schien
keine weiteren Verletzungen erlitten zu haben. Finlay wischte
die Trümmer mit dem Arm vom Schlitten und kletterte an
Bord. Die Feuer im Korridor breiteten sich rasch aus, und
allmählich wurde es ungemütlich warm. Seine nackte Haut
schmerzte bereits von der sengenden Hitze. Die Besitzer des
Turms hätten besser Geld für eine automatische Löschanlage
ausgegeben. Der Gedanke amüsierte Finlay, und er kicherte
unwillkürlich. Dann riß er sich zusammen. Er blickte auf
Adrienne hinunter. Das Deck, wo es nicht gebrannt hatte, war
schlüpfrig von ihrem Blut, und Adriennes Hände glänzten naß
und purpurn, wo sie ihre Eingeweide zusammenhielten. Ihr
Gesicht war im krassen Gegensatz dazu leichenblaß. Wenigstens atmete sie noch, zwar flach, aber spürbar. Finlay setzte
den Schlitten in Bewegung. Mit höchster Beschleunigung
schoß er durch das zerfetzte Fenster hinaus und nahm Kurs
auf den Turm der Shrecks.
Evangeline machte sich fertig, um zu Bett zu gehen, obwohl
es eigentlich noch früh war. Papa hatte sich zu einem seiner
kleinen ›Besuche‹ angemeldet. Es war erst wenige Minuten
her. Er meldete sich immer sehr kurzfristig an, damit sie sich
keine Entschuldigungen ausdenken konnte. Andererseits genoß er es, wenn sie ein wenig auf seinen Besuch warten mußte. Dann konnte sie über das nachdenken, was auf sie zukam.
Und so saß sie in ihrem langen weißen Nachthemd vor ihrer
Schminkkommode, bürstete lustlos das Haar und dachte darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Sie wußte, daß sie es
nicht tun würde. Wenn man von Papa einmal absah, gab es
eine ganze Menge, für das sich zu leben lohnte, und außerdem
würde es Finlay sehr weh tun. Ihre depressive Stimmung
würde wieder vergehen, wie schon so oft – doch im Augenblick brachte ihr der Gedanke Trost, alles hinter sich zu lassen
und keine Sorgen mehr haben zu müssen. Keine Sorgen, daß
man sie als Klon enttarnen könnte. Keine Sorgen, daß man
ihre Verbindungen zum Untergrund entdeckte. Keine Angst,
Finlay in der Arena sterben zu sehen. Nie wieder unter Papas
kleinen ›Besuchen‹ leiden müssen. Es wäre so schön , so
schön …
Evangeline stieß einen tiefen Seufzer aus, legte ihre Bürste
auf die Kommode vor sich und betrachtete sie für ein paar
Sekunden, als sei sie ein völlig fremder Gegenstand, den sie
noch nie zuvor gesehen hatte. Wie konnte sie einfach hier
sitzen und ihre Haare bürsten, eine derart banale, alltägliche
Handlung, während ihr Leben doch ein solcher Alptraum
war? Von Finlay abgesehen natürlich. Seine Liebe war alles,
was sie noch aufrecht hielt. Selbst ihre Leidenschaft für den
Kampf der Untergrundbewegung erlosch hin und wieder. Finlay gab ihr die Kraft, immer wieder
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