Der eiserne Thron
Kraft schien ihn verlassen
zu haben. Sein Kinn sank auf die Brust, und die Schultern
hingen schlaff herab. Irgendwie ertappte sich Evangeline bei
dem Gedanken, wie sie nur all das Blut je wieder aus ihren
Teppichen und dem Bettzeug entfernen sollte, ohne ein Dutzend neuer Dienerinnen einzustellen. Aber dann riß sie sich
zusammen und konzentrierte sich auf das, was im Augenblick
wichtig war. Finlay brauchte ihre Hilfe. Sie eilte zum Barschrank, goß einen großen Cognac aus und brachte ihn zu ihrem
Geliebten. Sie mußte das Glas in seine Hand drücken und ihn
beinahe zum Trinken nötigen. Der Alkohol brachte wieder
Farbe in sein Gesicht, und sein Blick wurde klarer. Evangeline kniete sich vor ihm auf den blutverschmierten Teppich.
»Was ist geschehen, Finlay? Warst du das?«
»Nein! Nein, das waren die Wolfs. Sie stirbt, Evangeline!
Ich muß sie retten. Ich brauche die Regenerationsmaschine.«
»Ja, natürlich. Aber …«
»Ich weiß, was du denkst. Aber ich kann sie nicht einfach
sterben lassen. Bitte, Evie.«
»Also gut. Ich tue es. Dir zuliebe.«
Evangeline erhob sich, ging zu der Spiegelkommode und
schob sie zur Seite. Dann aktivierte sie die versteckten Kontrollen per Hand, indem sie sorgfältig einen geheimen Kode
eingab. Ein Teil der Zimmerwand glitt zur Seite, und Finlays
Regenerationsmaschine rollte aus der freigegebenen Nische.
Gregor war nicht der einzige Shreck, der Geheimnisse besaß.
Evangeline öffnete den langgestreckten, schmalen Apparat,
der für ihren Geschmack zu sehr an einen Sarg erinnerte, und
schob ihn hinüber zum Bett, wo Finlay bei seiner Frau saß. Er
hob Adrienne sehr vorsichtig hoch und ließ sie in die Maschine gleiten, wobei er sich erneut über und über mit frischem
Blut beschmierte. Der Verschluß senkte sich wie ein Sargdekkel auf Adrienne herab, und das war alles. Ihr Schicksal lag
nun in den Händen der Maschine, und Finlay konnte nur noch
abwarten und hoffen. Er zog einen Stuhl heran und fiel darauf
wie eine Marionette, der man alle Fäden durchgeschnitten hat.
Evangeline stand bei ihm, hoch aufgerichtet, den Mund zu
einem Strich zusammengepreßt. Sie mußte nichts sagen.
Finlay atmete tief durch. »Adrienne und ich sind die letzten
Überlebenden der ersten Familie des Feldglöck-Clans. Alle
anderen sind tot. Die Wolfs haben uns überfallen. Sie haben
uns die Vendetta erklärt und uns in unserem eigenen Turm
niedergemetzelt. Sie sind auch hinter mir her, aber ich konnte
sie abschütteln. Ich hätte nicht herkommen dürfen, doch ich
wußte nicht, wo ich sonst hingehen sollte.«
»Natürlich durftest du herkommen«, widersprach Evangeline.
»Jetzt bist du erst mal in Sicherheit. Niemand kann dir etwas
tun, solange du bei mir bist. Ich bin so froh, daß du überhaupt
fliehen konntest. O Finlay! Deine gesamte Familie?«
»Ja. Nur die Nebenzweige und entfernte Vettern und Basen
sind noch übrig, und die Wolfs lauern in den Straßen und jagen auch sie. Der Feldglöck-Clan existiert nicht mehr.«
»Und Adrienne? Was ist mit ihr? Warum mußtest du sie
herbringen?«
»Kid Death stach sie nieder, als sie meinen Bruder retten
wollte. Eines Tages wird er dafür sterben. Ihre einzige Hoffnung besteht in der Regenerationsmaschine, die ich hier bei
dir gelassen habe.«
»Aber warum? Warum mußtest du sie herbringen?« fragte
Evangeline tonlos. »Warum hast du sie nicht einfach sterben
lassen? Sie hat immer zwischen uns gestanden, und du sagst
selbst, daß du sie nie geliebt hast. Das ist unsere Chance, Finlay! Wir müssen nichts weiter tun, als die Maschine abschalten und warten. Sieh mich nicht so an! Du hast ja keine Ahnung, wie schwer es für mich gewesen ist, alleine, ohne dich.
Du hast keine Ahnung.«
»Ich kann sie nicht einfach sterben lassen«, erwiderte Finlay. »Das verdient sie nicht. Sie hat so tapfer gekämpft. Und
was uns beide angeht – jetzt, wo es den Feldglöck-Clan nicht
mehr gibt, ist auf meinen Kopf ein Preis ausgesetzt. Wir werden uns niemals zusammen in der Gesellschaft zeigen können,
meine Liebste, weil ich nicht mehr zur Gesellschaft gehöre.
Sobald ich den Kopf aus der Deckung nehme und mich in der
Öffentlichkeit zeige, bin ich ein toter Mann. Robert wird der
neue Feldglöck sein, und er kann nur versuchen zu retten, was
zu retten ist, und so viel von der Familie zu erhalten, wie nur
irgend möglich. Er kann mir nicht helfen. Er darf es einfach
nicht riskieren.
Aber vielleicht kann er Adrienne retten, wenn sie überlebt.
Er ist auf dem Weg hierher und bringt
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