Der eiserne Thron
weiß sehr wohl, wie ich mich in der Öffentlichkeit zu komportieren habe.«
»Siehst du, genau das meine ich! Du kannst nicht draußen
herumlaufen und Worte wie komportieren benutzen; damit
verrätst du dich sofort! Hör zu, du sagst einfach kein Wort,
und ich stelle dich überall als meinen taubstummen Vetter
vor.«
Owen blickte sie an. »Tu mir nur keinen Gefallen!«
»Vertrau mir«, entgegnete Hazel. »Auf die Idee würde ich
nie kommen.«
Owen hielt den Mund geschlossen und die Augen offen, als
Hazel ihn durch die engen Straßen von Nebelhafen führte. Die
Stadt war in erbärmlichem Zustand. Überall waren Aufräumund Renovierungsarbeiten im Gange, und die Menschen, denen sie begegneten, schienen alle verbittert und hatten die
Lippen fest aufeinandergepreßt. So, wie der Ort aussah, machte Owen ihnen keinen Vorwurf. Die Fachwerkhäuser ragten
über die Straße hinaus wie betrunkene alte Männer, die sich
voreinander verbeugten. Die Straßen waren voller Dreck und
Abfall. Der Gestank war atemberaubend. Dichter Nebel waberte in der Luft und ließ alle Farben zu unterschiedlich hellen
Grautönen verblassen. In unregelmäßigen Abständen brannten
Straßenlaternen, obwohl es bereits auf Mittag zuging. Menschen drängten sich durch die Straßen, dicht eingehüllt in
schwere Felle und Umhänge. Sie benutzten ihre Ellbogen mit
jener Form von Geschick, die nur durch Übung zu erreichen
ist.
Owen und Hazel hatten die Kapuzen ihrer Umhänge tief in
die Stirn gezogen, so daß ihre Gesichter im Schatten verborgen blieben. Niemand starrte sie an oder zeigte auch nur eine
Spur Neugier; offensichtlich war Anonymität auf Nebelwelt etwas Alltägliches. Owen trottete durch Schlamm und Dreck
und schlug seine behandschuhten Hände gegeneinander, um
die Kälte zu vertreiben. Er hatte die wärmste Kleidung aus der
Garderobe der Sonnenschreiter gekramt. Viel Auswahl hatte
es nicht gegeben. Owen starrte finster auf Hazels Rücken vor
sich. Sie stapfte durch die Straße, als wäre es das normalste
auf der Welt. Owen brummte vor sich hin und mühte sich,
nicht den Anschluß zu verlieren. Er setzte mit grimmiger Befriedigung seine Ellbogen ein, um die Leute zur Seite zu
schieben, die ihm im Weg standen. Niemand sagte ein Wort.
Auch das schien nichts Außergewöhnliches zu sein.
Hazel schleppte ihn auf der Suche nach alten Bekannten von
einer Spelunke zur nächsten, aber niemand wollte mit ihnen
reden. Nach den Schwierigkeiten, die die Einwohner erst
kürzlich hinter sich gebracht hatten, waren alle viel zu sehr
mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Hazel mühte
sich weiter ab. Owen verließ langsam der Mut. Er konnte
nicht einmal mit Oz reden, um sich die Langeweile zu vertreiben; sie hatten vereinbart, die Kommunikation aus Sicherheitsgründen auf ein Minimum zu beschränken. Man konnte
nie sicher sein, wer einen auf Nebelwelt gerade belauschte.
Owen verzog mürrisch das Gesicht und zog dem Umhang
fester um seine Schultern. Alles dauerte viel zu lange.
Schließlich brachte Hazel einen Namen in Erfahrung: Ruby
Reise.
»Nie gehört«, sagte Owen.
»Warum solltest du auch, Aristo. Du bewegst dich nicht in
unseren Kreisen. Ruby ist Kopfgeldjägerin, und zwar eine
verdammt gute. Wir sind alte Freundinnen und kennen uns
schon eine Ewigkeit. Sie wird uns mit den richtigen Leuten in
Kontakt bringen – vorausgesetzt, wir machen ihr ein gutes
Angebot.«
»Keine weiteren zehn Prozent!« sagte Owen mit Bestimmtheit.
Hazel zuckte die Schultern. »Wie du meinst. Aber wenn du
das Beste haben willst, dann muß du entsprechend dafür zahlen. Mach dir keine unnötigen Gedanken, Todtsteltzer. Sie
wird dir sicher einen Rabatt geben, weil du zu mir gehörst.
Wir müssen sie nur erst finden.«
»Oh? Großartig!« sagte Owen. »Noch mehr hin und her
rennen.«
»Worüber beschwerst du dich denn jetzt schon wieder?«
»Wollt Ihr das wirklich hören? Also gut: Ich habe die Qual
der Wahl. Abgesehen von der Verrücktheit, daß Ihr unsere
Sicherheit einer Kopfgeldjägerin anvertraut – es ist bitter kalt,
ich habe keine Ahnung, wo wir sind, ich kann meine Hände
schon nicht mehr spüren, und meine Füße sind wie abgestorben. Wir laufen seit einer halben Ewigkeit durch diese erbarmungswürdige Stadt, ohne auch nur einen Schritt weitergekommen zu sein, und mein Magen denkt wahrscheinlich bereits, daß man mir den Mund zugenäht hat. Außerdem stinkt
es ganz entsetzlich. In den Kanälen muß eine
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