Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
dem Kopf.
    Der dritte Tag auf der Elefanten-Insel, der Tag, an dem das Dingi in See sticht, um an der Westküste nach Nahrung und einem Lagerplatz zu suchen, ist der 16. April. Es ist der 448.-Tag im Eis. Fünf Tage lang sind wir ihm entronnen, doch an diesem Tag ist das Eis wieder da. Vom Ausguck in den Klippen sieht Greenstreet es zuerst. Er brüllt wie von Sinnen, so als wäre da draußen das unwahrscheinlichste von allen Dingen in diesen Breiten. Doch was er sieht, ist kein Schiff, sondern eine graue, in sich wogende Wand. Das Treibeis zieht sich zu einem Gürtel zusammen.
    Â»Antarktika will in den Winterschlaf«, sagt Shackleton in meinem Rücken. Im Singsang des Windes, der über den Strand streicht, habe ich ihn nicht kommen hören.
    Er ist allein. Überraschungskontrolle. Ofenstichprobe.
    Â»Es sieht so aus, Sir. Guten Morgen.«
    Â»Sie säubern den Tranofen, Merce, das ist löblich. Und es zeugt von Hoffnung, dass wir recht bald wieder etwas zu kochen haben werden. Ich musste gerade an unsere Bücher denken. Sie lesen wohl nicht mehr?«
    Â»Sir? Nein. Es gibt keine Bücher mehr.«
    Â»Von Logbuch, Navigationstafeln und den Tagebüchern der Männer abgesehen, stimmt das.« Er streckt einen Arm aus und versucht ein Lächeln. »Gehen Sie ein Stück mit mir, Merce.«
    Der Wind lässt sich wieder berechnen. Und der Schnee stürzt nicht mehr von allen Seiten herab. Unten am Wasser fällt er beinahe senkrecht aus dem völlig weißen Himmel. Greenstreets Ablösung klettert die Klippen hinauf, es ist Rickenson, der sich da strichdürr über die Felsvorsprünge nach oben tastet; an den nach außen gekehrten Nähten seines Schneeanzugs ist er leicht zu erkennen.
    Shackleton gibt Schlendergeschwindigkeit vor. Er will wissen, ob ich meine Nachforschungen über Balleny und die SABRINA noch zu einem Ende habe bringen können, und ich bejahe.
    Â»Und haben Sie schon mit Mister Vincent über Ihre Entdeckung gesprochen?«
    Ich will mir mein Erstaunen darüber, dass er im Bilde ist, nicht anmerken lassen. Wahrscheinlich konnte es McLeod nicht für sich behalten, dass ich ihn zu Vincent geschickt habe. Oder Green hat irgendetwas von meiner Fragerei durchblicken lassen.
    Ich verneine, hätte es mir anders überlegt. Vincents Familie gehe mich nichts an. »Ballenys Buch ist auf der Scholle geblieben, Sir.«
    Er bleibt stehen. Wir bleiben beide stehen. Vor uns, auf der dem Meer zugewandten Buchtseite, liegt das Riffportal. Vor ein paar Stunden ist dort die STANCOMB WILLS hinausgesegelt, und noch jetzt, wo da nichts ist als Wasser, ist für mich dort Bakewell und winkt herüber aus dem sich rasch entfernenden Boot.
    Â»Wir werden das Eis nicht los«, sagt Shackleton. »Es dürfte um diese Zeit gar nicht hier sein. Aber es ist hier.« Er presst die Lippen aufeinander. »Vier Wochen, vielleicht auch nur drei, und die Insel ist eingeschlossen. Reicht die Zeit, um einen Fleischvorrat anzulegen, mit dem wir überwintern können? Was meinen Sie?«
    Â»Noch haben wir nicht einmal Tiere entdeckt, Sir.«
    Â»Hoffen wir, dass Bob Clark Recht behält. Und falls es auf dieser Insel Tiere gibt, wird Mister Wild sie finden.« Er setzt sich in Bewegung. Ich mache zwei große Schritte, schon bin ich wieder auf gleicher Höhe mit ihm. Shackleton verschränkt die behandschuhten Hände hinter dem Rücken und sagt: »Ich kann nicht warten, bis wir eine ausreichende Fleischmenge beieinander haben. Das Risiko, dass wir zuvor eingeschlossen werden, ist eindeutig zu hoch. Hier zu überwintern ohne Vorräte, ich mag mir das gar nicht ausmalen. Entsetzlich. Der Fuß von Mister Holness bedarf dringend stationärer Versorgung. Mehr als ein Dutzend Männer ist nervlich am Ende. Alles Gründe, weswegen ich mich entschieden habe, mit einem der Boote nach Osten zu segeln und Hilfe zu holen, bevor wir erneut einfrieren.«
    Nach ein paar stummen Schritten gibt er mir einen Klaps und lässt die Hand auf meinem Rücken liegen. Ȇberrascht Sie das so? Sie sind ganz bleich.«
    Â»Ich stelle mir die Seekarte vor, Sir. Und wenn ich mich nicht täusche, liegt ostwärts weit und breit kein Land.«
    Wir haben den Strand in seiner ganzen Länge einmal abgeschritten. Vor einem großen, von der Flut noch ganz glitzernden Felsen machen wir kehrt. Shackleton will nicht an der Wasserlinie entlang

Weitere Kostenlose Bücher