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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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lang muss er ausharren, bevor ihn die zwei, die nicht in den Schlafsäcken liegen, durch den Einstieg unter Deck zerren, wo einer ihn trockenrubbelt, warmmassiert und verköstigt, während der andere schon nach oben an die Pinne geschlüpft ist und sich festzurrt, um nicht über Bord gespült zu werden. Jeden Tag sind 18 Steuerschichten zu besetzen, dreimal täglich kauert jeder an der Pinne. Er hat die CAIRD auf Kurs zu halten, komme, was wolle. Mehr wird nicht von ihm verlangt. Er hat nichts zu tun, außer sich mit aller Gewalt gegen den Wind zu wehren, der ihn fortblasen und ins Meer wehen will, und sich gegen die Gewalt der Dünung zu stemmen, die ohne Unterlass am Ruderblatt rüttelt, um es aus dem Heck zu brechen.
    Irgendwann am sechsten Tag ist es so kalt geworden, dass der Regen in Schnee übergeht. Bald stürzt er vom Himmel wie eine endlos hohe Wand. Einen Tag und eine Nacht kreuzen wir blind durch nicht aufhörendes Weiß, taub vom Lärm der ins Meer rauschenden Flockenmassen, immer von der Angst verfolgt, auf eine Scholle oder einen Eisberg aufzulaufen, und ohne Möglichkeit zu Positionsbestimmung und Lotung. Der Schnee macht eine zweite Dauerwache an Deck vonnöten. Auf dem dahinrasenden Boot hin und her krabbelnd, dabei nur von einem Strick gesichert, muss der Mann so gut es geht Abdeckung, Segel und Takelung schneefrei halten, wobei ihm der Schnee, den die dritte Wache von unten aus den Einstiegen schippt, beständig in die Quere kommt: Entweder landet die Schaufelladung in seinem Gesicht oder auf einer soeben freigeräumten Stelle. Und hat man auch diesen Matsch über Bord geschleudert und ruht, bäuchlings auf die Abdeckung gestreckt, einen Arm um den Mastbaum geklammert, ein paar Lidschläge lang aus, ist jeder Zentimeter an Deck und auch man selber erneut dick eingeschneit und gefährdet mit seinem Gewicht das Boot und sechs Leben, an dem noch 22 andere hängen. Da bleibt dem Schneemann so gut wie keine Zeit, auch mal nach dem Mann am Ruder zu sehen. Wo ist der? Der Einstieg eine einzige Verwehung. Wessen Ärmel ist das? Ein halbes Dutzend Mal bin ich es, der dort hockt und einschneit. Doch genauso oft bin ich dann wieder der, der zusehen muss, wie der Mann am Heck im Schnee versinkt. Und weil ich weiß, wie er sich fühlt, krieche ich als Schneemann zu ihm hin, wische ihm ein Atemloch vom Mund und atme auf, als säße ich dort selbst.
    Denjenigen unter Deck ergeht es inzwischen nicht besser. Durch die Einstiege wirbelt der Schnee bis in die letzten Winkel. Die Körperwärme der drei, die schlafen und die für anderthalb Stunden nichts wecken kann, lässt den Schnee auf der Stelle schmelzen, und das zurückbleibende Wasser sammelt sich zwischen den Ballaststeinen, wo es stehen bleibt und mit den Bewegungen des Bootes hin und her schwappt. Das Wasser ist eisig, und abschöpfen lässt es sich nur, wenn man die Steine verlagert. In den wenigen Niederschlagspausen zwischen dem fünften und siebten Tag versuchen wir etliche Male, die schwarzen und zumeist kopfgroßen Brocken, die mittschiffs im Schneewasser liegen, auf Bug und Heck zu verteilen, ohne dadurch die Trimmung zu gefährden. Doch es gelingt weder Bakewell und Vincent noch Shackleton und Crean. Immer wieder legt sich die CAIRD so unerwartet auf die Seite oder hebt so plötzlich den Bug, dass die zwei, für die gerade Platz ist, um sich die glitschigen Steine zu reichen, übereinander fallen und sich an den Kanten Arme und Beine wund schlagen. Geplagt von Ischiasschmerzen und Schlafmangel, das Gesicht tief zerfurcht, ähnelt Shackleton Tag für Tag mehr einem Greis. Doch wahrscheinlich sehen wir alle so aus, wie Vincent sagt: als hausten wir seit Monaten in einem undichten Hafenschuppen. Crean ist es schließlich, der an Shackletons Stelle ein Machtwort spricht: Das Wasser bleibt im Boot. Tags darauf hört es auf zu schneien, und die drei Ersatzschlafsäcke, die wir als Matratzen auf die Steine legen dürfen, saugen das Wasser begierig auf und geben seine Kälte an uns weiter.
    Es ist so eng unter Deck, dass es zweien nicht gleichzeitig möglich ist, in den Schlafsack zu kriechen. Sogar die Bewegungen eines Einzelnen, der aus den durchnässten Kleidern herauswill, um sich wenigstens halbwegs trockene Unterwäsche darunterzuziehen, muss ein anderer koordinieren. Meistens ist es Shackleton oder Worsley, der sich in einen Einstieg kauert und

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