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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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liegen dort, und Gletscher, und Bäche mit klarem, sprudelndem Wasser. Aber noch etwas anderes liegt dort. Dort versperrt ein Gebirgszug den Weg zu den Walfängersiedlungen an der Nordküste, ein Gebirge, das keinen Namen hat, weil es noch kein Mensch durchquert hat.
    Â»Das, Gentlemen, wird sich ändern!«, sagt Shackleton, und in seinen Augen funkelt er schon, der Schnee auf den südgeorgischen Gipfeln. Dabei ist ringsum noch immer nichts als die See, aus der nur die paar Zahlen ragen, die Worsley zu einer Insel zusammengesetzt hat.
    54 ° 38‘ Süd, 39° 36‘ West, 110 Seekilometer von der Küste Südgeorgiens entfernt, so ist unsere Position am 8. Mai, einem Montag. Für uns ist es der 15. Tag auf See, für die auf der Elefanten-Insel der 470. Tag eingeschlossen im Eis.
    Die See wird wieder wilder; die Kap-Hoorn-Roller sind zurück. Sie drängen ihre Berge vor die Augen und sorgen sogar für ihr eigenes Wetterschauspiel. In den Wogentälern ist die Luft von dem ringsum tosenden Wasser so nass, dass es in Strömen regnet, während oben auf den Kämmen feiner Schnee fällt. Stunde um Stunde saust die CAIRD aus dem Rieseln in den Platzregen hinunter und steigt wieder hinauf in den Schnee. Und obwohl es stets dieselben grauen schmutzigen Wolken sind, die am Himmel dahinziehen, kommt es mir zwei Tage lang so vor, als würden sich Herbst und Winter, Winter und Herbst um mich streiten und als wären die beiden Jahreszeiten gar keine Zeiten, sondern zwei Reiche, die im Krieg miteinander liegen, weil das eine kälter als das andere ist. Beide, Kälte und Nässe, dringen uns bis in die Knochen. Alle haben wir Salzwassergeschwüre an Handgelenken, Fußknöcheln und Knien, doch Vincent scheint zudem an Rheuma zu leiden, und alles, was McIlroys halbierter Medizinkasten dagegen hergibt, ist ein Fläschchen Hamamelis-Tinktur, die Vincent bloß ein müdes Lächeln abringt. Vom Schüttelfrost durchzuckt, wälzt er den abgemagerten Leib in den Schlafsack. Eine Weile schlottert er noch, doch dann schläft er ein und liegt ruhig da, solange das Auf und Ab des Bootes ihn nicht auf den Steinen herumwirft. Durch den Einstieg rieselt der Schnee, und kurz darauf prasselt wieder der Regen herein.
    Nach Ablauf seiner Freiwache ist Vincent zurück auf dem Posten. Shackleton hat sich getäuscht. Sowenig wie irgendeiner von uns muss John Vincent durch besondere Maßnahmen dazu gebracht werden, sein Soll zu erfüllen. Auch als er sich ohne Schmerzen kaum noch bewegen kann, geht er vor den Mast, zurrt sich daran fest und heftet die salzverkrusteten Augen auf den Horizont. Er ist es, dem von dort aus am Mittag des 16. Tages ein kaum metergroßes Tangbüschel weit oben in der Dünung einer Sturzsee auffällt. Es ist das erste Zeichen für Land.
    Von da an durchforsten wir mit Blicken den Himmel nach Vögeln. Und sie kommen. In den wenigen Sekunden, die das Boot auf einem Wellenkamm steht, bevor es hinabpflügt ins nächste Tal, sehen wir ihre Schwärme im Südosten über dem Meer fliegen. Was für Vögel sind es? Wir schließen Wetten ab. Bakewell entdeckt einen kleinen Teppich aus Treibgut, über dick bealgtes Tauwerk miteinander verbundene Spieren, deren Anblick uns jubelnd in die Arme fallen lässt. Doch wo ist die Insel? Die Berge sind so hoch! Warum sehen wir sie nicht? Die Wolken jagen zu tief und auch viel zu dunkel über den Himmel voraus.
    Â»Halt dich an die Vögel!«, ruft Worsley. Sie sind mittlerweile so nah, dass wir sie unterscheiden können, Eissturmvögel, Blausturmvögel und Seeschwalben. Crean, der das Ruder nicht mehr verlässt, folgt ihrem Kurs, und sein Singsang an der Pinne wird umso lauter, je lauter die Vögel unser Auftauchen vermelden.
    Â»Da!«, ruft Shackleton, »da, der Himmel reißt auf, gleich wird es hell und wir sehen die Gipfel!«
    Ein breiter Streifen hellen Himmels fliegt von Westen heran, tatsächlich, das Wetter schlägt um.
    In derselben Sekunde brüllt Crean.
    Es ist das erste Mal, dass ich ihn so schreien höre, denn was er wie von Sinnen brüllt, ist wie der Text seines Liedes, keiner versteht ihn: »Sie kommt!«, schreit er. »Holt fest alle Mann!«
    Es ist kein Riss in der Wolkendecke, was dort von achtern auf uns zugerast kommt. Es ist der weiße Gischtkamm einer Woge, deren Höhe alles übertrifft, was ich mir

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